Leitsatz (amtlich)
Das Verschlechterungsverbot gilt im erstinstanzlichen gerichtlichen Bußgeldverfahren kraft besonderer gesetzlicher Bestimmung nur bei einer Entscheidung durch Beschluss im schriftlichen Verfahren (§ 72 Abs. 3 Satz 2 OWiG), nicht aber bei einer Entscheidung durch Urteil nach Durchführung einer Hauptverhandlung. Daher entfällt in dem Urteil die viermonatige Schonfrist (§ 25 Abs. 2a StVG), wenn nach Erlass des Bußgeldbescheids, in dem diese Vergünstigung noch gewährt wurde, ein Fahrverbot in anderer Sache als Vorbelastung hinzugetreten ist.
Normenkette
OWiG §§ 67, 71 Abs. 1, § 72 Abs. 3 S. 2; StVG § 25 Abs. 2a
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Rechtsmittels.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 46 km/h zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Abweichend von dem Bußgeldbescheid des Kreises W. vom 3. Juli 2017 hat das Amtsgericht dem Betroffenen keine viermonatige Schonfrist gewährt.
Hiergegen richtet sich dessen auf die Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde, mit der in der Sache allein die Nichtgewährung der viermonatigen Schonfrist angegriffen worden ist.
II.
Die Rechtsbeschwerde konnte in zulässiger Weise dahin beschränkt werden, dass allein die Nichtgewährung der viermonatigen Schonfrist (§ 25 Abs. 2a StVG) Gegenstand der Anfechtung ist (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1999, 50; Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 79 Rdn. 9).
Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet, weil die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Beschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 349 Abs. 2 u. 3 StPO).
Das Amtsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2a StVG zum maßgeblichen Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht mehr vorlagen. Denn durch den Bußgeldbescheid des Kreises B. vom 30. Mai 2017, rechtskräftig seit dem 11. Januar 2018, war gegen den Betroffenen neben einer Geldbuße von 160 Euro ein einmonatiges Fahrverbot verhängt worden. Dieser Umstand konnte in dem Bußgeldbescheid des Kreises W. vom 3. Juli 2017 noch nicht berücksichtigt werden. Hingegen musste die Vergünstigung des § 25 Abs. 2a StVG in dem angefochtenen Urteil wegen des inzwischen hinzugetretenen Fahrverbots entfallen.
Dem stand das Verschlechterungsverbot (Verbot der reformatio in peius) nicht entgegen. Denn das Verschlechterungsverbot gilt im erstinstanzlichen gerichtlichen Bußgeldverfahren kraft besonderer gesetzlicher Bestimmung nur bei einer Entscheidung durch Beschluss im schriftlichen Verfahren (§ 72 Abs. 3 Satz 2 OWiG), nicht aber bei einer Entscheidung durch Urteil nach Durchführung einer Hauptverhandlung (vgl. OLG Brandenburg BeckRS 2017, 104126 Rdn. 27; Ellbogen in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl., § 67 Rdn. 5; Seitz/Bauer in: Göhler a.a.O. vor § 67 Rdn. 5 u. § 71 Rdn. 4).
Der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ist kein Rechtsmittel, sondern ein Rechtsbehelf eigener Art, und eröffnet dem Gericht die Gelegenheit, die Tat ohne Bindung an die in dem Bußgeldbescheid getroffenen Feststellungen und deren Bewertung durch die Bußgeldbehörde zu beurteilen. Durch den Einspruch verliert der Bußgeldbescheid seine Bedeutung einer vorläufigen Entscheidung und behält nur noch die Bedeutung einer tatsächlich und rechtlich näher bezeichneten Beschuldigung (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 2000, 42, 43; OLG Brandenburg a.a.O.). Aus diesem Wesen des Bußgeldbescheides und des Einspruchs folgt, dass das Verschlechterungsverbot nach einem Einspruch nicht gilt. Das gerichtliche Bußgeldverfahren kann nach § 81 OWiG sogar in ein Strafverfahren übergeleitet werden.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Fundstellen
Haufe-Index 12101264 |
SVR 2021, 342 |
VRA 2020, 170 |