Verfahrensgang
AG Neuss (Entscheidung vom 06.05.2013) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 6. Mai 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Neuss zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen "fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung" zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 50,00 € verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von neun Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Hiergegen richtet sich die (Sprung-)Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
II.
1. Das gemäß § 335 StPO statthafte Rechtsmittel hat mit der auf § 258 Abs. 2, 2. Hs, Abs. 3 StPO gestützten und - im Hinblick auf § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO - zulässig ausgeführten Verfahrensrüge (vorläufig) Erfolg.
a) Der Rüge liegt ausweislich der Sitzungsniederschrift folgender Verfahrensablauf zugrunde:
In der Hauptverhandlung vom 6. Mai 2013 hielten die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger ihre Schlussvorträge. Die Staatsanwaltschaft beantragte die Verhängung einer Geldstrafe und die Anordnung eines dreimonatigen Fahrverbots, der Verteidiger beantragte, den Angeklagten freizusprechen und stellte die Verhängung einer Geldbuße (wegen einer etwa begangenen Ordnungswidrigkeit) in das Ermessen des Gerichts. Der Angeklagte hatte das letzte Wort und erklärte auf Befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe, dass "alles gesagt" sei. Nach zwanzigminütiger Unterbrechung der Hauptverhandlung und erneutem Aufruf der Sache verkündete das Amtsgericht einen Beschluss, durch den dem Angeklagten die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 111a StPO vorläufig entzogen wurde. Zur Begründung wurde hierin unter Darstellung des dem Angeklagten zur Last gelegten Sachverhaltes ausgeführt, der Angeklagte sei aufgrund der bisherigen Ergebnisse der Ermittlungen dringend verdächtig, sich einer zumindest fahrlässig begangenen Straftat nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB schuldig gemacht zu haben, weshalb dringende Gründe für die Annahme gegeben seien, dass ihm die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen werde. Der Beschluss wurde dem Angeklagten und seinem Verteidiger ausgehändigt, woraufhin der Angeklagte seinen Führerschein zu den Akten reichte. Unmittelbar im Anschluss hieran wurde das Urteil verkündet.
b) Mit dieser Verfahrensweise hat das Amtsgericht das Recht des Angeklagten auf Erteilung des letzten Wortes (§ 258 Abs. 2, 2. Hs, Abs. 3 StPO) verletzt.
Das Amtsgericht hatte mit seinem Beschluss zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis zu erkennen gegeben, dass es zum einen den Angeklagten der ihm vorgeworfenen Straftat für dringend verdächtig hielt und zum anderen - abweichend vom Antrag der Staatsanwaltschaft - auch die Voraussetzungen für eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB als gegeben ansah. Die Verkündung einer solchen Entscheidung, die in unmittelbarem Bezug zu der zu treffenden Sachentscheidung steht, weil sich in ihr die Bewertung urteilsrelevanter Fragen durch das Gericht wiederspiegelt, stellt einen Wiedereintritt in die Verhandlung dar, der der vorausgegangenen Schlusserklärung des Angeklagten die Bedeutung des letzten Wortes nimmt und dessen erneute Gewährung erforderlich macht (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 372; BGH bei Becker NStZ-RR 2002, 65, 71; BGH Beschluss vom 24. März 1993 [5 StR 164/93] ≪[...]≫; LR-Stuckenberg, StPO, 26. Auflage [2012], § 258 Rdnr. 6 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 56. Auflage [2013], § 258 Rdnr. 28 ff.). Das Amtsgericht hat jedoch nach der Verkündung des Beschlusses unmittelbar das Urteil verkündet, ohne dem Angeklagten zuvor nochmals Gelegenheit zum Schlusswort zu geben.
Bei der hier gewählten Verfahrensweise war die Verkündung des Beschlusses zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auch nicht etwa Teil der abschließenden Entscheidung (vgl. hierzu BGH NJW 2001, 2109); dass das Amtsgericht Beschluss und Urteil auch in umgekehrter Reihenfolge hätte verkünden können, ist insoweit ohne Belang (ebenso BGH NStZ-RR 2001, 372).
c) Die aufgezeigte Gesetzesverletzung erfordert die Aufhebung des angefochtenen Urteils. Zwar begründet die Nichterteilung des letzten Wortes nicht zwingend die Revision, jedoch kann nach einhelliger Ansicht das Beruhen des Urteils auf Verstößen gegen § 258 StPO wegen der besonderen Bedeutung der Vorschrift für die Verteidigung des Angeklagten nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen ausgeschlossen werden - etwa wenn der Angeklagte geständig ist und das letzte Wort keinen Einfluss auf den Schuld- oder Strafausspruch haben kann (Meyer-Goßner, aaO, § 258 Rdnr. 34 m. w. N.).
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Der Angeklagte war im Verfahren vor dem Amtsgericht nicht geständig. Dass er die Ausführungen des Gerichts zu § 111a ...