Entscheidungsstichwort (Thema)
Rügeobliegenheit; Personenbeförderungsleistungen; Auftraggeber; Beteiligungsverbot; interner Betreiber; ungewöhnlich niedriges Angebot; Beihilfegewährung
Leitsatz (amtlich)
1. Zu rügen sind vom Antragsteller nach § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nur Vergabeentscheidungen des öffentlichen Auftraggebers, allenfalls noch bestimmte Zwischenentscheidungen. Lediglich vorbereitende Handlungen des Auftraggebers, unterfallen nicht der Rügeobliegenheit (hier: Versendung der Vergabeunterlagen).
2. Bescheidet der Auftraggeber eine vorsorgliche, nach dem Gesetz nicht erforderliche Rüge negativ, wird dadurch die 15-Tage-Frist des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB nicht in Lauf gesetzt.
3. Dienstleistungsaufträge i.S.d. Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 1370/20 unterliegen der Kontrolle der Vergabenachprüfungsinstanzen (im Anschluss an OLG Düsseldorf, Beschl. v. 2.3.2011 - VII-Verg 48/10).
4. Sektorenauftraggeber im Verkehrsbereich ist nur, wer Verkehrsleistungen selbst erbringt und diese nicht lediglich organisiert.
5. Das Beteiligungsverbot nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. b VO (EG) Nr. 1370/2007 betrifft nur solche Bieter, die nach dem In-Kraft-Treten der Verordnung als sog. interne Betreiber beauftragt worden sind und die sich bei externen Vergabeverfahren bewerben wollen.
6. Ein Preisangebot ist nicht ungewöhnlich niedrig und keiner Aufklärung durch den Auftraggeber bedürftig, wenn es das nächsthöhere Angebot um weniger als 10 % unterschreitet.
7. Beihilfegewährungen sind im Vergabenachprüfungsverfahren nur in dem durch die Vergabeordnungen gesetzten rechtlichen Rahmen zu überprüfen.
Normenkette
VO (EG) Nr. 1370/2007 Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, 2 Buchst. a, b; GWB § 107 Abs. 3 S. 1 Nrn. 1, 4; VOL/A-EG § 19 Abs. 6-7
Verfahrensgang
Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln (Beschluss vom 05.04.2012; Aktenzeichen VK VOL 52/2011) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln vom 5.4.2012 (VK VOL 52/2011) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis 95.000 EUR
Gründe
I. Der Antragsgegner schrieb im August 2011 Personenbeförderungsleistungen auf zwei kleineren Omnibuslinien (257 und 258) im offenen Verfahren aus. Den Auftrag hatte zuvor die Antragstellerin ausgeführt. Sie gab zum Vergabeverfahren ein Angebot ab, doch sollte und hat die Beigeladene, ein zu jeweils 50 % dem Antragsgegner und der Stadt Leverkusen gehörendes Busunternehmen, den Zuschlag erhalten. Dies ist von der Antragstellerin mit dem Nachprüfungsantrag beanstandet worden, u.a. durch Hinweis auf ein die Beigeladene angeblich treffendes Verbot einer Beteiligung am Vergabeverfahren, das sich aus Art. 5 Abs. 2 Buchst. b Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2007 ergebe (im Folgenden: VO Nr. 1370/2007). Außerdem hat die Antragstellerin ein ungewöhnlich niedriges Preisangebot der Beigeladenen sowie unzulässige Beihilfen des Antragsgegners an die Beigeladene behauptet.
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag wegen Rügepräklusion (als unzulässig) verworfen und hat hilfsweise ausgeführt, dass sie ihn auch für unbegründet halte.
Dagegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde erhoben, mit der sie die Begründung der Entscheidung angreift und ihr erstinstanzliches Vorbringen insbesondere zu einer rechtswidrigen Beihilfengewährung an die Beigeladene sowie zu Bestrebungen, sie zugunsten der Beigeladenen vom Anbietermarkt zu verdrängen, wiederholt und ergänzt.
Nachdem der streitige Auftrag während des Beschwerdeverfahrens erteilt worden ist, hat die Antragstellerin den Beschwerdeantrag umgestellt. Sie beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und festzustellen, dass sie im Vergabeverfahren durch den Antragsgegner in ihren Rechten verletzt worden sei.
Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsgegner verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten nebst deren Anlagen sowie auf die Vergabeakten und die Verfahrensakten der Vergabekammer Bezug genommen.
II. Das Rechtsmittel ist ohne Erfolg. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Die Antragstellerin ist vom Antragsgegner im Vergabeverfahren in keinen Bieterrechten verletzt worden.
1. Der Nachprüfungsantrag ist allerdings in Gänze zulässig und von der Vergabekammer zu Unrecht verworfen worden. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob die Antragstellerin - worauf die Vergabekammer ihre Entscheidung gestützt hat - mit dem Nachprüfungsantrag die in der Vergabebekanntmachung angegebene 15-Tage-Frist des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB hat verstreichen lassen. Die dabei zugrunde gelegte Nichtabhilfeentscheidung des Antragsgegners vom 16.9.2011 hat die genannte Frist nicht ausgelöst. Damit ist die der Übersendung der Vergabeunterlagen an die Beigeladene (was durch ein...