Leitsatz (amtlich)

1. Ob eine Abgeltungsklausel, nach der sämtliche wechselseitigen Ansprüche abgegolten bzw. erledigt sind, ohne ausdrückliche diesbezügliche Formulierung auch im Vergleichszeitpunkt unbekannte Ansprüche erfasst, folgt aus der Auslegung des Vergleichs im jeweiligen Einzelfall.

2. Es sind grundsätzlich strenge Anforderungen an eine Willenserklärung zu stellen, die zum Verlust einer Rechtsposition führt.

3. Die Tatsache, dass bestimmte Werkleistungen durch Drittunternehmen von der Abgeltungsklausel ausgenommen worden sind, spricht im Umkehrschluss deutlich dafür, dass alle übrigen Gewährleistungsansprüche von der Ausschluss-/Abgeltungswirkung erfasst sein sollten.

4. Als Auslegungskriterium gilt dabei auch, ob der Auftraggeber das Objekt zuvor eingehend auf Mangelsymptome bzw. -ursachen geprüft hatte bzw. fachmännisch hatte prüfen lassen und ob der Vergleichstext von einem Parteivertreter schriftlich entworfen worden ist und das Zustandekommen dieses außergerichtlichen Vergleichs dann erst nach weiteren außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen beider Parteivertreter vom Gericht gemäß § 278 Abs. 6 ZPO festgestellt worden ist.

5. Eine Partei kann der Erstreckung der Abgeltungsklausel auf im Vergleichszeitpunkt unbekannte Ansprüche auch nicht mit Erfolg durch eine Anfechtung wegen Irrtums über die Existenz sonstiger Ansprüche gemäß § 119 BGB entgegentreten, wenn ein diesbezüglicher eigener Irrtum der Partei über die Rechtsfolgen der Abgeltungs-/Erledigungsklausel vermeidbar war bzw. ein diesbezüglicher Irrtum ihres Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO der Klägerin zurechenbar ist; ein diesbezüglicher Motivirrtum ist unbeachtlich.

6. § 779 BGB erfasst als Sonderfall zur § 313 BGB nicht solche Sachverhalte, die vor dem Vergleich als streitig bzw. ungewiss angesehen wurden und - im Rahmen der Wirkungen der Abgeltungs-/Erledigungsklausel - Gegenstand der Streitbeilegung waren.

 

Verfahrensgang

LG Mönchengladbach (Urteil vom 14.01.2016; Aktenzeichen 6 O 131/15)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des LG Mönchengladbach vom 14.01.2016 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 29.03.2016.

 

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen den Beklagten, der 2009 Werkleistungen an einem Objekt der Klägerin in V. ausgeführt hat - nach einem in einem früheren Rechtsstreit gemäß § 278 Abs. 6 ZPO festgestellten Vergleich über diesbezügliche Gewährleistungspflichten des Beklagten mit Ausgleichs-/Abgeltungsklausel - weitere Gewährleistungsansprüche für die Beseitigung von angeblich inzwischen entdeckten weiteren Werkmängeln in Höhe von insgesamt 13.429,51 EUR (davon 12.134,51 EUR als Kostenvorschuss und 1.295,00 EUR als Schadensersatz, vgl. 10 GA unten) nebst vorgerichtlichen Kosten und Prozesszinsen geltend. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das LG hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Es könne im Hinblick auf die Abgeltungsklausel zu Ziff. 6 des Prozessvergleichs, die auch ohne ausdrückliche Formulierung (OLG Köln, Urteil vom 25.08.1999, 13 U 28/99) und im Hinblick auf die beiderseitige Interessenlage im Vergleichszeitpunkt auch unbekannte Ansprüche umfasse, dahinstehen, ob die Werkleistungen des Beklagten weitere Mängel aufwiesen. Der damalige beiderseitige Wille zur endgültigen Regelung der Angelegenheit folge hier insbesondere daraus, dass das Vertrauensverhältnis derart gestört gewesen sei, dass die Mängelbeseitigung durch ein Drittunternehmen vereinbart worden sei.

Auch wenn grundsätzlich strenge Anforderungen an eine Willenserklärung zu stellen sei, die zum Verlust einer Rechtsposition führe, sei hier eine allgemein übliche Formulierung zu einem vollständigen wechselseitigen Forderungsverzicht gewählt worden, obgleich es nahegelegen hätte, die (sonstigen) Gewährleistungsrechte ausdrücklich von der Reglung auszunehmen. Da indes in Ziff. 6 die Gewährleistung für die in diesem Vergleich geregelten (Dritt-)Leistungen von der Abgeltungsklausel ausgenommen worden sei, spreche im Umkehrschluss deutlich dafür, dass die übrigen Gewährleistungsansprüche von der Vereinbarung hätten erfasst sein sollen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin Beklagten, zu deren Begründung sie unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen vorträgt:

Die vom LG vorgenommene Auslegung widerspreche dem Grundsatz, dass an einen Rechtsverzicht strenge Anforderungen zu stellen seien (BGH, Urteil vom 15.10.2014, XII ZR 111/12), wobei zu berücksichtigen seien, dass den Parteien die nunmehr streitgegenständlichen Mängel zum Zeitpunkt des Vergleichs vom 14.07.2009 gar nicht bekannt gewesen seien. Zudem sei der Vergleich zur Beendigung eines mehrjährigen Rechtsstreits über ganz konkrete Mängel geschlossen worden und enthalte insoweit ausschließlich Regelungen zu diesen Mängeln bzw. der diesbezüg...

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