Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss der Vergabekammer Rheinland (Spruchkörper Köln) vom 29. April 2016 (VK VOL 30/15) im Tenor zu 1) bis 3) aufgehoben und der Nachprüfungsantrag vom 3. November 2015 zurückgewiesen.

2. Die Anträge vom 1. Juli 2016 und vom 11. November 2019 auf erweiterte Akteneinsicht und auf Gewährung einer Schriftsatzfrist für ergänzenden Vortrag werden abgelehnt.

3. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners. Die Beigeladene trägt ihre Kosten selbst.

4. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig.

5. Den Beteiligten wird aufgegeben, binnen zwei Wochen zum Wert des Beschwerdeverfahrens vorzutragen.

 

Gründe

I. Mit EU-weiter Bekanntmachung vom 30. September 2015 (Supplement zum Amtsblatt der EU, Bekanntmachungsnummer 2015/S 189-341981) kündigte der Antragsgegner die Direktvergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages über Busverkehrsleistungen auf seinem Kreisgebiet einschließlich von dort abgehender Linien in benachbarte Gebietskörperschaften "nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007" mit Wirkung zum 12. Dezember 2016 an.

Die Verkehrsleistungen sollten circa 4,2 Mio. Jahres-Fahrplan-Kilometer betragen (Ziffer II.1.3 der Bekanntmachung), wobei die Vergabe von Unteraufträgen beabsichtigt war (Ziffer II.1.5 der Bekanntmachung). Als Laufzeit des gesamten Auftrags waren zehn Jahre ab Auftragsvergabe vorgesehen (Ziffer. II.3 der Bekanntmachung). Der Auftrag sollte nach Ziffer IV.1) der Bekanntmachung "an einen internen Betreiber (Art. 5.2 von 1370/2007)" vergeben werden, dem ein "ausschließliches Recht im Sinne von Art. 2 lit. f der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007" gewährt werde.

Der Antragsgegner ist in seinem Gebiet Aufgabenträger des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und als solcher - gemeinsam mit weiteren Kreisen und Städten - Mitglied des Zweckverbands W. (im Folgenden W.), dem unter anderem die Teilaufgabe Tarif unter dem Aspekt "Gemeinschaftstarif" übertragen wurde (§ 3 Abs. 4 der Zweckverbandssatzung). Die Durchführung des Verkehrs und damit die Übernahme einer unternehmerischen Tätigkeit ist nicht Aufgabe des Zweckverbands. Sie obliegt den im W. tätigen Unternehmen (§ 3 Abs. 10 der Satzung).

Der Antragsteller ist mit Beschluss des Amtsgerichts Köln - Insolvenzgericht - vom 1. April 2020 (70k IN 23/20) zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der ursprünglichen Antragstellerin (im Folgenden Schuldnerin) bestellt worden. Die Schuldnerin ist ein im Gebiet des Antragsgegners tätiges Verkehrsunternehmen, das sich für die Erbringung der ausgeschriebenen Dienstleistungen auf sämtlichen vom Antragsgegner zu vergebenden Buslinien interessiert hat.

Bei dem vorgesehenen internen Betreiber handelt es sich um die Beigeladene, ein kommunales Verkehrsunternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Gesellschafter der Beigeladenen sind mit einem Anteil von jeweils 12,5 % am Stammkapital der Kreis F., der S. Kreis, die Stadt L., der S. 1, die L. 1 GmbH, die Stadtwerke C. -GmbH sowie mit einem Anteil von jeweils 2,5 % der P. Kreis, die Elektrische Bahnen der Stadt C. und des S. 2-GmbH, die T. GmbH, die Stadtwerke C. 1 GmbH, die Stadtwerke X. GmbH und die Stadtwerke I. AöR. Die Beigeladene hält Eigenanteile von 10 % am Stammkapital.

Mit einem an den Antragsgegner gerichteten Schreiben vom 28. Oktober 2015 (Anlage Ast. 5) erhob die Schuldnerin gegen die vom Antragsgegner beabsichtigte Direktvergabe mehrere Rügen: Die Beigeladene erfülle die Voraussetzungen für eine Direktvergabe nicht. Die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 sei nicht anwendbar, weil der Antragsgegner keine Dienstleistungskonzession vergebe. Die nach § 97 Abs. 3 GWB erforderliche Losaufteilung sei unterblieben. Die Direktvergabe sei unzulässig, weil der Antragsgegner bereits die S. 3 mbH als internen Betreiber bestimmt habe. Die Direktvergabe sei nach nationalem Recht nicht erlaubt, weil der Wettbewerb für zehn Jahre vollständig ausgeschlossen werde. Die Bearbeitung eines eigenwirtschaftlichen Genehmigungsantrages bei gerichtsanhängig strittiger Einnahmeaufteilung im W. sei unmöglich. Die im Rahmen der diskutierten Einnahmeaufteilungsveränderungen festzustellenden Umverteilungsvolumina stellten ein nicht kalkulierbares Risiko für Bieter dar. Der in die vorliegende Direktvergabe integrierte Genehmigungswettbewerb sei unter den gegebenen Umständen unzulässig, weil er anderen Marktteilnehmern faktisch keinerlei Wettbewerbschancen einräumt. Durch das vorgesehene Verfahren sei nicht sichergestellt, dass die ÖPNV-Leistungen zu den haushaltsrechtlich sicherzustellenden geringsten Kosten für die Allgemeinheit produziert werden.

Der Antragsgegner wies die Rügen mit Schreiben vom 28. Oktober 2015 (Anlage Ast. 6) zurück.

Mit einem am 6. November 2...

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