Entscheidungsstichwort (Thema)
Entlassung eines in anderer Sache Inhaftierten rechtfertigt nicht automatisch die Aufhebung einer deswegen erfolgten Pflichtverteidigerbeiordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Aufhebung einer Pflichtverteidigerbestellung setzt stets das Vorliegen einer objektiven Änderung der Notwendigkeit einer Verteidigung voraus. Erfolgt die Beiordnung aufgrund des Umstandes, dass ein Angeklagter in anderer Sache inhaftiert ist und wird der Inhaftierte später entlassen, reicht dieser formelle Umstand allein als Grund für die Änderung der Umstände nicht aus. Der bloße Umstand, dass ein Inhaftierter entlassen wird und entsprechend die Möglichkeit hätte, sich um einen Verteidiger nach Wahl zu bemühen, eröffnet lediglich einen Ermessensspielraum, um die Bestellung zu überprüfen. Von diesem Ermessen muss das Gericht vor einer Aufhebung zumindest erkennbar Gebrauch machen.
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zu erneuter Entscheidung an die Strafkammer zurückverwiesen.
Gründe
Die zulässige Beschwerde vom 8. Oktober 2010 - ergänzt durch die Eingabe vom 18. Oktober 2010 - richtet sich gegen den Beschluss des Landgerichts Krefeld vom 29. September 2006, durch den die - auf der Grundlage des § 140 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 StPO durch Beschluss des Amtsgerichts Krefeld vom 25. Januar 2010 erfolgte - Bestellung von Rechtsanwalt Decker zum Pflichtverteidiger des Angeklagten aufgehoben worden ist.
Der Beschwerde ist durch Beschluss des Landgerichts Krefeld vom 22. Oktober 2010 nicht abgeholfen worden.
Sie hat - zumindest vorläufig - Erfolg.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme ausgeführt:
"Die Bestellung eines Pflichtverteidigers, im Räumen des § 140 Abs. 2 StPO gilt grundsätzlich für das gesamte Verfahren bis zur Rechtskraft, also auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren. Ist die Frage der Notwendigkeit der Verteidigung in irgendeinem Verfahrensstadium positiv beantwortet worden, muss es - abgesehen von den gesetzlich geregelten Ausnahmen nach den §§ 140 Abs. 3 Satz 1, 143 StPO - insbesondere dann bei der Bestellung bleiben, wenn das Gericht lediglich seine rechtliche Auffassung über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigerbeiordnung ändert (vgl. BGHSt 7, 69, 71; RGSt 70, 317, 320). Denn der Eintritt einer Änderung ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Insofern ist es unbeachtlich, wenn das Gericht im Laufe des Verfahrens nur seine subjektive Auffassung hinsichtlich der Notwendigkeit der Pflichtverteidigung durch eine andere Beurteilung ersetzen will oder ein während des Verfahrens neu zuständig werdendes Gericht die Auffassung des Vorderrichters nicht zu teilen vermag (vgl. OLG Düsseldorf, StV 1995, 117, 118).
Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn sich die für die Anordnung der Pflichtverteidigung maßgeblichen Umstände wesentlich verändert haben oder das Gericht von objektiv falschen Voraussetzungen ausgegangen ist (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O., Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. (2010), § 140, Rdnr. 34 m.w.N.). Ein solche Einschränkung der Rücknahmemöglichkeiten gebietet schon der Grundsatz des prozessualen Vertrauensschutzes (vgl. auch OLG Zweibrücken NStE Nr. 11 zu § 140 StPO; OLG Stuttgart StV 1985, 140). Das Gesetz eröffnet für den Sonderfall des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO gemäß § 140 Abs. 3 Satz 1 StPO die eingeschränkte Möglichkeit der nachträglichen Aufhebung der Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn der Beschuldigte wenigstens zwei Wochen vor der Hauptverhandlung auf freien Fuß kommt. Dieser Fristbestimmung liegt die Erwägung zugrunde, dass einem Beschuldigten dadurch ausreichend Zeit eingeräumt wird, um einen Verteidiger seines Vertrauens noch bis zum Beginn der Hauptverhandlung zu finden.
Entsprechend verhält es sich im vorliegenden Fall. Denn die auf § 140 Abs. 2 StPO gestützte Bestellung des Pflichtverteidigers durch Beschluss des Amtsgerichts Krefeld vom 25. Januar 2010 erfolgte, weil sich der Angeklagte seit dem 28. Januar 2008 in anderen Sachen in Haft befunden hat. Er wurde indes bereits im Juni 2010 aus der Haft entlassen und befindet sich seitdem auf freiem Fuß.
Indessen ordnet § 140 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht die uneingeschränkte Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen an. Vielmehr wird für das mit der Frage befasste Gericht ein Ermessensspielraum eröffnet. Das Gericht ist gehalten, dieses Ermessen fehlerfrei zu gebrauchen.
Im Rahmen des insoweit eingeräumten Ermessens ist stets sorgfältig zu prüfen, ob die frühere mit dem Umstand der Inhaftierung verbundene Behinderung des Angeklagten in seinen originären Verteidigungsrechten und -möglichkeiten entfallen ist oder diese Einschränkung des Angeklagten trotz Aufhebung der Haft fortbesteht und deshalb eine weitere Unterstützung durch einen Verteidiger erfordert (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O., OLG Celle StV 1992, 151, OLG Frankfurt StV 1990, 487; StV 1983, 497, Meyer-Goßner, a.a.O., Rdnr. 36). Das Gericht ist verpflichtet, insoweit nachvol...