Leitsatz (amtlich)
1. Dem Recht auf Vaterschaftsanfechtung gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB steht nicht deshalb der Einwand unzulässiger Rechtsausübung gemäß § 242 BGB entgegen, weil der Anfechtende bei Anerkennung der Vaterschaft gewusst hat, dass das Kind von einem anderen Mann abstammt.
2. Die Anfechtung einer bewusst wahrheitswidrig anerkannten Vaterschaft durch den Anerkennenden ist nicht mutwillig im Sinne von §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. 1 Satz 1, Absatz 2 ZPO.
Normenkette
BGB §§ 242, 1600 Abs. 1 Nr. 1; FamFG § 76 Abs. 1; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Verfahrensgang
AG Düsseldorf (Aktenzeichen 250 F 180/21) |
Tenor
pp. wird dem Antragsteller auf seine sofortige Beschwerde in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Düsseldorf vom 03.11.2021 für den Antrag auf Vaterschaftsanfechtung ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... bewilligt.
Gründe
I. Das zulässige Rechtsmittel, mit dem der Antragsteller sein vom Amtsgericht abgelehntes Verfahrenskostenhilfegesuch für den Antrag auf Anfechtung der in Kenntnis der Abstammung des Kindes von einem anderen Mann anerkannten Vaterschaft weiterverfolgt, hat auch in der Sache Erfolg.
1. Der Rechtsverfolgung kann eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne der §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht abgesprochen werden. Die Voraussetzungen nach § 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB für die vom Antragsteller begehrte Anfechtung der Vaterschaft sind schlüssig dargelegt.
a) Die Anfechtungsfrist von zwei Jahren ab Kenntnis von den gegen die angefochtene Vaterschaft sprechenden Umständen gemäß § 1600b BGB war im maßgeblichen Zeitpunkt der Einreichung des VKH-Gesuchs im September 2021 (§§ 1600b Abs. 5 Satz 3, 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB) trotz der von vornherein bestehenden Kenntnis des Antragstellers von der anderweitigen Abstammung des Kindes noch nicht abgelaufen, nachdem die gemäß § 1600b Abs. 2 Satz 1 BGB für den Fristbeginn maßgebliche Anerkennung am 07.10.2019 erfolgt war.
b) Der Umstand, dass der Antragsteller bei Anerkennung seiner Vaterschaft von der anderweitigen Abstammung des Kindes wusste, begründet nicht den Einwand des Rechtsmissbrauchs durch treuwidriges Verhalten gemäß § 242 BGB. Ein bewusst wahrheitswidriges Anerkenntnis der Vaterschaft lässt ihre spätere Anfechtung nämlich nicht rechtsmissbräuchlich erscheinen. Denn nach Maßgabe der gesetzlichen Regelung der Vaterschaftsanfechtung soll innerhalb der zweijährigen Anfechtungsfrist eine freie Entscheidung möglich sein und der Mann Gelegenheit zu der Prüfung haben, ob er das fremde Kind auf Dauer als eigenes betrachten will (Senat, Beschluss vom 31.01.2020 - II-1 WF 14/20, FamRZ 2020, 1008; OLG Köln, FamRZ 2002, 629, 630).
2. Das Anfechtungsbegehren ist nicht mutwillig im Sinne der §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
a) Nach der Legaldefinition des § 114 Abs. 2 ZPO ist die Rechtsverfolgung mutwillig, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung absehen würde, obwohl eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht. Beurteilungsmaßstab ist das hypothetische Verhalten einer selbstzahlenden Partei, die sich in der Situation des Antragstellers befindet. Der Unbemittelte soll hinsichtlich des Zugangs zum Gericht einem solchen Bemittelten gleichgestellt werden, der seine Prozessrisiken vernünftig abwägt und auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Ihm soll freilich nicht die Führung von Prozessen ermöglicht werden, die eine bemittelte Partei bei besonnener Einschätzung der Chancen und Risiken nicht anstrengen würde (vgl. BT-Drucks. 17/11472, S. 29). Es kommt nicht darauf an, ob der Antragsteller durch sein früheres Verhalten bestimmte Maßnahmen ausgelöst hat, die das nunmehr angestrebte Verfahren bedingen, sondern darauf, ob er sich in einer Lage befindet, bei der zur Durchsetzung seiner Rechte das Beschreiten des Rechtswegs unverzichtbar erscheint, und eine bemittelte Partei in derselben Lage sich exakt in derselben Weise verhalten würde, es sei denn, dass ein Gesamtplan vorliegt, nach dem der Antragsteller bereits bei seinen früheren Dispositionen davon ausgegangen war, dass er später ein Gerichtsverfahren einleiten und dafür Verfahrenskostenhilfe beantragen muss (vgl. BGH, FamRZ 2016, 1058, Rn. 27 f.). Wenn das aktuell eingeleitete Verfahren die einzige Rechtsschutzmöglichkeit darstellt, ist das Verfahrenskostenhilfegesuch nicht als mutwillig anzusehen (vgl. zum VKH-Gesuch für einen Eheaufhebungsantrag: BGH, FamRZ 2011, 872, Rn. 13). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Mutwilligkeit ist insoweit derjenige der Entscheidungsreife des Verfahrenskostenhilfegesuchs (OLG Brandenburg, FamRZ 2018, 1339; Musielak/Voit/Fischer, ZPO, 16. Auflage, § 114 Rn. 30). Auf dieser Grundlage erweist sich ein Vaterschaftsanfechtungsantrag im Fall eines bewusst falsch abgegebenen Vaterschaftsanerkenntnisses nicht als mutwillig (Senat, Beschluss vom 31.01.2020 - II-1 WF 14/20, FamRZ 2020, 1008; OLG Rostock, MDR 2007, 958...