Leitsatz (amtlich)
1. Dem Recht auf Vaterschaftsanfechtung gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB steht nicht deshalb der Einwand unzulässiger Rechtsausübung gemäß § 242 BGB entgegen, weil sich der rechtliche Vater in dem vorangegangen Vaterschaftsanfechtungsverfahren des biologischen Vaters zu dem Kind bekannt hat.
2. Der Antrag auf Vaterschaftsanfechtung gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist nicht deshalb mutwillig im Sinne von §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. 1 Satz 1, Absatz 2 ZPO, weil der rechtliche Vater in dem vorangegangen Vaterschaftsanfechtungsverfahren des biologischen Vaters Angaben gemacht hat, aufgrund derer das Gericht in dem Vorverfahren von einer sozial-familiären Beziehung zwischen Kind und rechtlichem Vater ausgegangen ist und den Anfechtungsantrag des biologischen Vaters zurückgewiesen hat.
Normenkette
BGB §§ 242, 1600 Abs. 1 Nr. 1; FamFG § 76 Abs. 1; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Verfahrensgang
AG Neuss (Aktenzeichen 47 F 282/19) |
Tenor
wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Neuss vom 27.12.2019 auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch des Antragstellers vom 06.11.2019 an das Amtsgericht zurückverwiesen mit der Maßgabe, Verfahrenskostenhilfe nicht wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht oder wegen Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung zu verweigern.
Gründe
I. Das beteiligte Kind ist 2017 während der zwischen dem Antragsteller und der Kindesmutter bestehenden Ehe geboren worden. Im Rahmen eines in jenem Jahr von Herrn O. (im Folgenden: biologischer Vater) mit eidesstattlicher Versicherung der Beiwohnung vom 12.07.2017 eingeleiteten Vaterschaftsanfechtungsverfahrens ließ das Amtsgericht M. eine Abstammungsbegutachtung durchführen, die die Abstammung des Kindes vom biologischen Vater mit einem Wahrscheinlichkeitswert von über 99,9999 % praktisch erwiesen hat. Das Amtsgericht M. ist in jenem Verfahren aufgrund der Angaben des Antragstellers und der Kindesmutter im Anhörungstermin vom 09.05.2019 von einer sozial-familiären Beziehung zwischen Kind und Antragsteller ausgegangen und hat den Vaterschaftsanfechtungsantrag des biologischen Vaters mit Beschluss vom 15.05.2019 zurückgewiesen. Der Antragsteller und die Kindesmutter leben seit März 2019 getrennt.
Der Antragsteller hat Verfahrenskostenhilfe begehrt für den Antrag auf Feststellung, nicht der Vater des beteiligten Kindes zu sein, und vorgetragen, erst im April 2019 Kenntnis von dem beim Amtsgericht M. geführten Vaterschaftsanfechtungsverfahren des biologischen Vaters erlangt zu haben, weil die Kindesmutter diesbezügliche Postsendungen abgefangen und vor ihm versteckt habe. Im Anhörungstermin vor dem Amtsgericht M. vom 09.05.2019 habe er sich aufgrund einer emotionalen Ausnahmesituation im Rahmen einer depressiven Episode zu dem Kind bekannt, was, wie er heute wisse, der falsche Weg gewesen sei, nachdem er realisiert habe, dass die Trennung von der Kindesmutter dauerhaft sei.
Das Amtsgericht hat das Verfahrenskostenhilfegesuch als mutwillig zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es sei nicht nachzuvollziehen, weshalb sich der Antragsteller in dem beim Amtsgericht M. geführten Abstammungsverfahren zur Vaterschaft bekannt habe. Jedenfalls im Rahmen eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung des Amtsgerichts M. habe er klarstellen können, tatsächlich keine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind zu haben, womit sich die Einleitung eines neuerlichen Anfechtungsverfahrens erübrigt hätte.
Dies greift der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde an und macht geltend, er habe nach rechtskräftigem Abschluss des vom biologischen Vater betriebenen Vaterschaftsanfechtungsverfahrens einen Sinneswandel vollzogen, der ihn zur Vaterschaftsanfechtung veranlasst habe. Maßgeblich sei die Beurteilung zum Zeitpunkt der Antragstellung. Auf ein früheres Fehlverhalten komme es nicht an.
II. Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache zumindest vorläufigen Erfolg.
1. Der Rechtsverfolgung kann eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne der §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht abgesprochen werden. Die Voraussetzungen nach § 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB für die vom Antragsteller begehrte Anfechtung der Vaterschaft sind schlüssig dargelegt.
a) Die bestehende (rechtliche) Vaterschaft des Antragstellers ergibt sich aus seiner Verheiratung mit der Kindesmutter im Zeitpunkt der Geburt (§ 1592 Nr. 1 BGB). Zu einer Feststellung der Vaterschaft des biologischen Vaters gemäß §§ 1592 Nr. 3 BGB, 182 Abs. 1 FamFG ist es nicht gekommen, nachdem dessen beim Amtsgericht M. eingereichter Vaterschaftsanfechtungsantrag zurückgewiesen worden ist.
b) Aufgrund der im Verfahrenskostenhilfeprüfungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist derzeit davon auszugehen, dass die Anfechtungsfrist von zwei Jahren ab Kenntnis von den gegen die angefochtene Vaterschaft sprechenden Umständen gemäß § 1600 b BGB nicht verstrichen ist. Denn der Antragsteller hat nach Maßgabe seines Vortrags erst im...