Leitsatz (amtlich)
1. Die Anordnung nach § 184 Abs. 1 S. 1 ZPO kann nicht im Wege der öffentlichen Zustellung nach § 185 ZPO zugestellt werden, da es sich auch bei § 185 ZPO um eine fingierte Zustellung handelt, deren Inhalt dem Adressaten in der Regel nicht zur Kenntnis gelangt. § 184 Abs. 1 S. 1 ZPO lässt es aber nicht zu, die in § 184 Abs. 1 S. 2 ZPO vorgesehene Zustellungsfiktion auf ei-ne Zustellung zu gründen, die ebenfalls nur einer Fiktion entspringt.
2. Sind seit einem ersten erfolglosen Zustellversuch mehr als anderthalb Jahre vergangen, ist in der Regel - wenn nicht feststeht, dass die Auslandszustellung keinen Erfolg verspricht - der erneute Versuch einer Zustellung erforderlich, bevor die öffentliche Zustellung nach § 185 ZPO bewilligt werden kann.
3. Angesichts der besonderen Bedeutung des Grundrechts auf rechtliches Gehör ist eine informelle Information des Zustelladressaten - sei es durch ein-fachen Brief oder per Email - neben der öffentlichen Zustellung nach § 185 ZPO zwingend erforderlich, wenn die Anschrift oder sonstige Kontaktmöglichkeiten bekannt oder im Wege einer einfachen Internetrecherche ohne Schwierigkeiten ermittelbar sind.
4. Die Heilung von Zustellungsmängeln nach § 189 ZPO setzt einen tatsächlichen Zugang des zuzustellenden Dokuments bei dem Zustellungsempfänger voraus. Eine Ersatzzustellung nach § 178 ZPO genügt diesen Anforderungen nicht.
Normenkette
ZPO §§ 184-185, 189, 707, 719
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Aktenzeichen 4a O 83/20) |
Tenor
Auf Antrag der Beklagten vom 29.02.2024 wird die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil der 4a Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 21.02.2023 (Az. 4a O 83/20) einstweilen eingestellt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des EP ...x Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf und Schadensersatzfeststellung in Anspruch.
Am 25.09.2020 erhob die Klägerin die vorliegende Klage (Bl. 1 ff. GA LG). Das Landgericht erließ am 05.10.2020 neben der prozessleitenden Verfügung (Bl. 36 ff. GA LG) einen Beschluss, durch den der Beklagten gemäß § 184 ZPO aufgegeben wurde, binnen eines Monats einen Zustellungsbevollmächtigten in der Bundesrepublik Deutschland zu benennen (Bl. 32 f. GA LG). Am 06.10.2020 leitete das Landgericht - unter Beifügung entsprechender chinesischer Übersetzungen - durch einen Antrag auf Zustellung eines gerichtlichen Schriftstücks im Ausland an die Rechtshilfeabteilung des Justizministeriums die Auslandszustellung der Klageschrift, der prozessleitenden Verfügung und des Beschlusses nach § 184 ZPO an die Beklagte in China ein (vgl. Bl. 38 GA LG).
Anfragen des Landgerichts nach dem Sachstand des Zustellungsverfahrens blieben im Jahr 2021 erfolglos (vgl. Bl. 37 Rückseite GA LG). Mit Schriftsatz vom 04.01.2022 (Bl. 64 ff. GA LG) beantragte die Klägerin die öffentliche Zustellung der Klage. Mehrere gerichtliche Sachstandsanfragen an das Justizministerium über das Bundesamt für Justiz sowie die deutsche Botschaft in China blieben auch im Jahr 2022 erfolglos (vgl. Bl. 62 Rückseite GA LG). Mit Schriftsatz vom 27.07.2022 wiederholte die Klägerin ihren Antrag auf öffentliche Zustellung der Klageschrift (Bl. 73 f. GA LG). Im Oktober 2022 erhielt das Landgericht eine offizielle Mitteilung ("certificate") der zuständigen chinesischen Behörde, datiert auf den 06.04.2021, dass die Zustellung fehlgeschlagen und die Beklagte unter der angegebenen Adresse nicht zu finden gewesen sei (Bl. 78 ff. GA LG).
Der auf dem Zustellungsersuchen angegebene Name und die Adresse der Beklagten stimmen mit der auf ihrer eigenen Internetseite www.D.com.cn angegebenen chinesischen Schreibweise überein. Die Klägerin ließ die angegebene Adresse mit Hilfe eines Taxifahrers kontrollieren und konnte bestätigen, dass sich dort - insoweit auch unstreitig - das Firmengelände der Beklagten befindet. Mit Schriftsatz vom 03.11.2022 (Bl. 87 ff. GA LG) beantragte die Klägerin erneut, die öffentliche Zustellung der Klage zu bewilligen.
Mit Beschluss vom 04.11.2022 (Bl. 93 f. GA LG) bewilligte das Landgericht die öffentliche Zustellung der Klageschrift, der prozessleitenden Verfügung und des Beschlusses nach § 184 ZPO. Die Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung wurde vom 11.11.2022 bis zum 13.12.2022 an der Gerichtstafel des Landgerichts Düsseldorf ausgehängt. Eine Verteidigungsanzeige der Beklagten ging innerhalb der hierzu gesetzten Frist von einem Monat nach Zustellung der Klageschrift (vgl. prozessleitende Verfügung vom 05.10.2020, Bl. 36 ff. GA LG) nicht ein.
Durch Versäumnisurteil vom 21.02.2023 (Bl. 102 ff. GA LG) verurteilte das Landgericht die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung und zum Rückruf und stellte die Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach fest. Die Adresse der Beklagten ist in dem Versäumnisurteil mit "X1, China" angegeben. An diese Adresse veranlasste das Landgericht am 22.02.2023 die Zustellung des Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post (vgl. Bl....