Leitsatz (amtlich)
1. Der Anscheinsbeweis für beratungsgemäßes Verhalten des Mandanten ist nicht anwendbar, wenn unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten verschiedene Verhaltensweisen ernsthaft in Betracht kommen und die Aufgabe des Rechtsberaters lediglich darin besteht, dem Mandanten durch die erforderlichen fachlichen Informationen eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen (hier vor Abschluss eines Abfindungsvergleichs in einem Kündigungsschutzprozess).
2. Zur Feststellung des Schadens des Mandanten muss die tatsächliche Gesamtvermögenslage derjenigen gegenübergestellt werden, die sich ohne den Fehler des haftpflichtigen Rechtsanwalts ergeben hätte, und zwar unter Berücksichtigung aller eingetretenen Nach-, aber auch Vorteile.
Normenkette
BGB §§ 611, 675, 280, 249; ZPO § 287
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Aktenzeichen 14c O 209/10) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Der Klägerin wird Gelegenheit gegeben, hierzu binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.
Der für den 31.1.2012 geplante Senatstermin findet nicht statt.
Gründe
Die zulässige Berufung der Klägerin hat keine Aussicht auf Erfolg. Der Klägerin steht gegen beklagte Rechtsanwaltspartnerschaftsgesellschaft - wie das LG im Ergebnis zutreffend entschieden hat -ein Schadensersatzanspruch nach §§ 611, 675, 276, 280 Abs. 1 BGB nicht zu.
I. Die Beklagte hat zwar ihre Pflichten aus dem Mandatsverhältnis mit der Klägerin in schuldhaft verletzt, indem sie die Klägerin nicht innerhalb der Frist zum Widerruf des am 29.7.2008 vor dem ArbG geschlossenen Vergleichs auf die Tragweite und die Folgen der Regelung in Ziff. 7 des Prozessvergleichs hingewiesen hat. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass die Pflichtverletzung der Beklagten einen Schaden der Klägerin verursacht hat. Denn es ist nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich die Vermögenslage der Klägerin bei Durchführung des Rechtsstreits insgesamt günstiger entwickelt hätte, als dies bei Abschluss des Vergleichs der Fall gewesen wäre.
1. Es kann schon nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin bei pflichtgemäßer Beratung den in Rede stehenden Vergleich nicht abgeschlossen hätte.
a) Den Ursachenzusammenhang zwischen der pflichtwidrigen Beratung und dem beim Auftraggeber eingetretenen Schaden hat dieser zu beweisen (BGHZ 123, 311, 313 ff. = NJW 1993, 3259). Das gilt auch für die Frage, wie sich der Auftraggeber bei richtiger Beratung verhalten hätte. Insoweit kommen ihm zwar, da es sich dabei um die haftungsausfüllende Kausalität handelt, Beweiserleichterungen zu Hilfe. Es gilt nicht § 286, sondern § 287 ZPO (BGH WM 2000, 197, 198 = NJW 2000, 509 m.w.N.). Außerdem kann dem Mandanten die Beweisführung nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises (Vermutung beratungsgerechten Verhaltens) erleichtert sein; das gilt indessen nur, wenn ein bestimmter Rat geschuldet war und es in der gegebenen Situation unvernünftig gewesen wäre, diesen Rat nicht zu befolgen (BGHZ 123, 311, 314 f. = NJW 1993, 3259; NJW-RR 2003, 1212). Die Regeln des Anscheinsbeweises sind dagegen unanwendbar, wenn unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten verschiedene Verhaltensweisen ernsthaft in Betracht kommen und die Aufgabe des Beraters lediglich darin besteht, dem Mandanten durch die erforderlichen fachlichen Informationen eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen (BGH WM 1999, 645, 646 = NJW-RR 1999, 641, 642; WM 2001, 741 = NJW-RR 2001, 1351, 1353; NJW 2004, 2817, 2818; NJW-RR 2005, 784, 785; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.7.2010 - I-24 U 228/09, juris; OLG Düsseldorf, Urt. v. 31.10.2000 - 24 U 271/99, juris).
b) So liegt der Fall hier. Um beurteilen zu können, wie der Auftraggeber sich nach pflichtgemäßer anwaltlicher Beratung verhalten hätte, müssen die Handlungsalternativen geprüft werden, die sich ihm stellten; deren Rechtsfolgen müssen ermittelt sowie miteinander und mit den "Handlungszielen" des Mandanten verglichen werden (BGH NJW-RR 2005, 784; NJW 2005, 3275, 3276; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.7.2010 - I-24 U 228/09, juris). Im Streitfall hätte die Klägerin nach ordnungsgemäßer Aufklärung über die Bedeutung von Ziff. 7 des Prozessvergleichs diesen widerrufen können; sie hätte den Vergleich jedoch auch nicht widerrufen können. Ob es für die Klägerin vernünftig war, den Vergleich in der gewählten Form abzuschließen, hing vom Ergebnis der Abwägung aller damit verbundenen Vor- und Nachteile ab.
Auch im Falle einer ordnungsgemäßen Beratung über die Tragweite des Vergleichs sprach die vereinbarte Abfindungssumme von 75.000 EUR, zu deren Zahlung sich die Arbeitgeberin der Klägerin in dem Vergleich verpflichtet hatte, gegen einen Widerruf des Vergleichs. Denn der ausgehandelte Abfindungsbetrag war relativ hoch. Ausweislich des Berichts der Beklagten an die Klägerin vom 29.7.2008 über den Termin zur Güteverhandlung vor dem ArbG Aachen, dessen inhaltliche Richtigkeit die Klägerin nicht in Abrede stellt, hatte das ArbG als Abfindung led...