Leitsatz (amtlich)

Für die Auslegung des Begriffs "Rückkehr" im Sinne des § 456a Abs. 2 Satz 1 StPO ist der deutsche Grenzabfertigungsbereich einer vorgelagerten Kontrollstelle auf polnischem Staatsgebiet verfahrensrechtlich als Inland zu behandeln.

 

Verfahrensgang

LG Wuppertal (Entscheidung vom 07.11.2003; Aktenzeichen 2 StVK 899/03)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten als unbegründet verworfen

 

Gründe

Durch Urteil vom 25. Oktober 2000 verhängte das Amtsgericht Bonn gegen den Verurteilten eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen unerlaubter Einreise in die Bundesrepublik Deutschland und wegen unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet in neun Fällen, jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung, sowie wegen Verschaffens von amtlichen Ausweisen in sieben Fällen. Nach Verbüßung eines Teils der verhängten Strafe wurde der - bestandskräftig aus dem Bundesgebiet ausgewiesene - Verurteilte am 4. Januar 2001 aus der Haft entlassen und in sein Heimatland abgeschoben, nachdem die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde von der weiteren Strafvollstreckung gemäß § 456a Abs. 1 StPO abgesehen und deren Nachholung für den Fall der Rückkehr des Verfolgten in das Bundesgebiet angeordnet hatte.

Anlässlich einer grenzpolizeilichen Einreisekontrolle am polnisch-deutschen Grenzübergang Küstrin-Kietz wurde der Verurteilte am 8. September 2003 auf Grund des in dieser Sache nach § 456a Abs. 2 Satz 3 StPO ergangenen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft Bonn vom 15. Mai 2001 durch deutsche Beamte festgenommen und dem Strafvollzug in der JVA Wuppertal zugeführt. Seine Einwendungen gegen die Nachholung der weiteren Strafvollstreckung hat die Strafvollstreckungskammer durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen.

Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten ist auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet zu verwerfen, da die Voraussetzungen für eine Nachholung der Strafvollstreckung gemäß § 456a StPO Abs. 2 StPO vorliegen.

I.

Die Nachholung der Strafvollstreckung ist nur dann zulässig, wenn der aus dem Bundesgebiet ausgewiesene Verurteilte in das Bundesgebiet "zurückgekehrt" ist und die Rückkehr freiwillig erfolgte (LG Berlin StV 87, 258; KK-Fischer, StPO, 5. Auflage, § 456a Rn. 4). Beides war hier der Fall.

1.

Der Verurteilte ist im Sinne des § 456a Abs. 2 Satz 1 StPO "zurückgekehrt". Zwar hatte er bis zu seiner Inhaftierung anlässlich der Einreisekontrolle durch deutsche Zollbeamte das deutsche Hoheitsgebiet noch nicht betreten, da es sich bei dem hier zur Rede stehenden Grenzübergang Küstrin-Kietz um eine noch auf polnischem Gebiet befindliche ("vorgelagerte") Grenzkontrollstelle handelt (vgl. § 1 der Verordnung der Bundesminister der Finanzen und des Inneren vom 27. November 1995, BGBl.. 1995 II 966). Nach Ansicht des Senats ist indes in Fällen der hier vorliegenden Art eine "Rückkehr" in das Bundesgebiet schon in der Zone der vorgelagerten Grenzkontrollstelle erfolgt, sobald die Grenzabfertigung durch den polnischen Zoll beendet ist. Dies ergibt sich aus der durch ein bilaterales Übereinkommen geprägten Rechtsnatur vorgelagerter Grenzkontrollstellen.

Für den Grenzübergang Küstrin-Kietz gilt das durch Gesetz vom 3. Februar 1994 (BGBl.. 1994 II 265) mit innerstaatlicher Geltung versehene Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Erleichterungen der Grenzabfertigung (BGBl.. 1994 II 266), dessen Art. 2 Abs. 3 die Errichtung vorgelagerter Grenzdienststellen der einen Vertragspartei (Nachbarstaat) auf dem Gebiet der anderen Vertragspartei (Gebietsstaat) vorsieht. Gemäß Art. 3 des Abkommens dürfen die Bediensteten des Nachbarstaates in der Zone der vorgelagerten Kontrollstelle alle Vorschriften ihres Staates über die Grenzabfertigung in gleichem Umfang und mit den gleichen Folgen wie im eigenen Staat anwenden, wobei die in diesem Zusammenhang erforderlichen Amtshandlungen als im Nachbarstaat durchgeführt und die Verstöße gegen Vorschriften über die Grenzabfertigung als im Nachbarstaat begangen gelten. Angesichts dieser Regelungen hat die Rechtsprechung - in erweiternder Auslegung des Inlandsbegriffs gemäß § 3 StGB - das deutsche Strafrecht wiederholt auf Delikte angewandt, die bei der deutschen Grenzabfertigung an einer vorgeschobenen Kontrollstelle nach Überschreiten der Zollgrenze begangen wurden (vgl. BayObLG NJW 83, 529f.: Urkundenfälschung durch Vorlage eines verfälschten Reisepasses; BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 38: Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln).

Die auf der Grundlage der bilateralen Vereinbarung durch innerstaatliches Recht fingierte Inlandseigenschaft des deutschen Grenzabfertigungsbereichs einer vorgelagerten Kontrollstelle in Bezug auf zoll- und einfuhrrechtliche Zusammenhänge (vgl. hierzu LK-Gribbohm, StGB, 11. Auflage, vor § 3 Rn. 285) muss sich auch auf die Auslegung des verfahrensrechtlichen Begriffs der "Rückkehr" im Sinne von § 456a Abs. 2 StPO auswirken. Zu den Vorschriften über die Grenzabfertig...

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