Leitsatz (amtlich)
1. § 13c Abs. 3 S. 2 EnWG ermöglicht einen vom Willen des Anlagenbetreibers abhängigen Eintritt in die Netzreserve vor Ablauf der Anzeigefrist des § 13b Abs. 1 S. 1 EnWG. Ein automatischer Eintritt in die Netzreserve erfolgt mit der Systemrelevanzausweisung nicht.
2. Der vorzeitige Eintritt in die Netzreserve setzt eine Inanspruchnahme des Übertragungsnetzbetreibers im Sinne des § 13c Abs. 4 S. 1 EnWG voraus.
3. Im Fall eines vorzeitigen Eintritts in die Netzreserve können neben den in § 13c Abs. 3 S. 2 EnWG ausdrücklich genannten Erhaltungs- und Betriebsbereitschaftsauslagen auch Erzeugungsauslagen gemäß § 13c Abs. 3 S. 1 Nr. 3 EnWG geltend gemacht werden.
4. Ein Anspruch auf Erstattung von Opportunitätskosten im Sinne des § 13c Abs. 3 S. 1 Nr. 4 EnWG besteht erst für die Zeit nach Ablauf der Anzeigefrist.
Tenor
Der Beschluss der Bundesnetzagentur vom 1. Dezember 2021 (BK...) wird insoweit aufgehoben, als unter Nr. 1 der Beschlussformel das Bestehen einer wirksamen Verfahrensregulierung für die Zeit ab der Inanspruchnahme vom 10. Juli 2017 nicht anerkannt wird.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Bundesnetzagentur trägt 80 % der Gerichtskosten und 80 % der zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin. Diese trägt 20 % der Gerichtskosten und 20 % der zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendigen außergerichtlichen Kosten der Bundesnetzagentur. Eine weitere Kostenerstattung findet nicht statt.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf ... Euro festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wird zugelassen.
Gründe
A. Die Beschwerdeführerin ist unter anderem Betreiberin des baden-württembergischen Kraftwerks B und wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen einen Beschluss der Bundesnetzagentur vom 1. Dezember 2021 (BK...). Dieser richtet sich an die mit der Beschwerdeführerin konzernverbundene weitere Beteiligte als Übertragungsnetzbetreiberin und betrifft die Anerkennung von Netzreservekosten als verfahrensregulierte Kosten.
Im Februar 2017 beschloss der Vorstand der Beschwerdeführerin die Stilllegung der zum genannten Kraftwerk gehörenden Steinkohleanlage STA, nachdem im Oktober 2016 ein Generatorschaden festgestellt worden war. Der zustimmende Aufsichtsratsbeschluss folgte am 27. März 2017. Mit Schreiben von diesem Tage zeigte die Beschwerdeführerin sowohl der Bundesnetzagentur als auch der weiteren Beteiligten die beabsichtigte endgültige Stilllegung der Anlage zum gesetzlich frühestmöglichen Zeitpunkt, spätestens zum 27. März 2018 an.
Unter dem 7. April 2017 stellte die weitere Beteiligte den Antrag auf Genehmigung der Ausweisung der Systemrelevanz der Anlage bis zum 31. März 2020. Die begehrte Entscheidung wurde seitens der Bundesnetzagentur am 5. Juli 2017 (608-17-007 608e) mit der Maßgabe getroffen, dass die Genehmigung in erster Linie bis zum Ablauf von zwölf Monaten ab dem Tag der Inbetriebnahme des Engpassbewirtschaftungsverfahrens zwischen Deutschland und Österreich, längstens jedoch bis zum Ablauf des 31. März 2020 gelten sollte. Infolge dieser Regelung verlor die Genehmigung nach dem 30. September 2019 ihre Wirkung.
Noch am Tag der Genehmigungserteilung hatte die Beschwerdeführerin eine sogenannte REMIT-Mitteilung formuliert, laut der die genannte Anlage nicht mehr für den kommerziellen Betrieb zur Verfügung stehen werde ("will no longer be in commercial use").
Ab dem 10. Juli 2017 kam es zu Besprechungen zwischen der Beschwerdeführerin und der weiteren Beteiligten, die insbesondere die notwendigen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Betriebsbereitschaft zum Gegenstand hatten.
Mit Schreiben vom 13. Juli 2017 forderte die weitere Beteiligte die Beschwerdeführerin dazu auf, die Betriebsbereitschaft der Anlage im Rahmen des technisch Möglichen herzustellen. Die Beschwerdeführerin antwortete nach einem weiteren Gespräch im Juli 2017 mit Schreiben vom 23. August 2017, in dem sie unter Zugrundelegung des Ersatzszenarios die zur Herstellung und zum Zwecke der Vorhaltung der Betriebsbereitschaft aus ihrer Sicht erforderlichen Maßnahmen benannte, die dafür anfallenden Kosten zusammenstellte und auf ... Euro bezifferte. Zugleich bat sie um Bestätigung der Kostenübernahme dem Grunde nach und wies darauf hin, die vorgesehene Abrechnung der erzeugungsvariablen Kosten im Rahmen des Netzreserveeinsatzes bereits präsentiert zu haben.
Ab dem 15. November 2017 kam es (bis zum 7. März 2018) an insgesamt elf Tagen zu Probestarts, die von der weiteren Beteiligten angefordert worden waren. Ebenfalls im November 2017 wurde die weitere Beteiligte über die Einleitung des Festlegungsverfahrens nach § 13c Abs. 5 EnWG unterrichtet.
Mit Schreiben vom 12. Oktober 2018 erklärte die weitere Beteiligte auf Nachfrage der Bundesnetzagentur, dass für die Zeit vom 7. April bis zum 31. Dezember 2017 noch keine Rechnungen der Beschwerdeführerin wegen Leistungskosten vorlägen, wohl aber für Kapitalbindungskoste...