Leitsatz (amtlich)
1. Allein eine ausländische Schiedsvereinbarung ist nicht geeignet, eine gemäß §§ 1025 Abs. 2, 1033, 32 ZPO gegebene internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz zu derogieren.
2. Liegt die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nur nach §§ 1025 Abs. 2, 1033, 32 ZPO vor, ist die Entscheidungsbefugnis des erkennenden Gerichts auf deliktische Anspruchsgrundlagen beschränkt.
3. Der von der Bundesrepublik Deutschland durch ihre Gerichte zu gewährende Justizgewährungsanspruchs umfasst nicht den Schutz eines im Ausland geführten Verfahrens vor im Ausland erlassener oder drohender Anti-Suit-Injunctions und infolgedessen im Ausland drohender Vollstreckungsmaßnahmen.
4. In diesem Fall stehen dem Erlass einer Anti-Anti-Suit-Injunction - auch wenn über die Partei nur mittelbar Einfluss auf die Drittstaaten genommen würde - die völkerrechtlichen Grundsätze des Territorialitätsprinzips und wesentliche Elemente staatlicher Souveränität der betroffenen Drittstaaten entgegen.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3; ZPO §§ 23, 32, 1025 Abs. 2, § 1033
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Aktenzeichen 9 O 133/24) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf (9 O 133/24) vom 17.05.2024 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 22.04.2024 in der Fassung der Beschwerdebegründung vom 04.06.2024 als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 30.000.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragstellerinnen begehren im Wege der einstweiligen Verfügung den Erlass eines weltweiten Prozessführungs- und Vollstreckungsverbots (sog. Anti-Anti-Suit-Injunction) gegenüber der Antragsgegnerin im Hinblick auf ein von der Antragsgegnerin gegen sie in Russland erwirktes, strafbewehrtes Prozessführungsverbot (sog. Anti-Suit-Injunction).
Zwischen den Antragstellerinnen und der Antragsgegnerin bestehen Verträge über die Belieferung mit Gas durch die Antragsgegnerin. Nach allen Verträgen liegt der Liefer- und Erfüllungsort der Gaslieferungen jeweils am Grenzübergang in L. im Bezirk des Landgerichts Weiden i.d.OPf. Die Verträge unterliegen schweizerischem Recht und enthalten jeweils Schiedsklauseln, wonach über Streitigkeiten zwischen den Parteien ein Schiedsgericht mit Sitz in Stockholm, Schweden, entscheiden soll. Da die Antragsgegnerin ab Mitte Juni 2022 nur noch reduziert und seit Ende August 2022 nicht mehr die von den Antragstellerinnen abgerufenen Gasmengen lieferte, erhoben die Antragstellerinnen im November 2022 in der Hauptsache eine Schiedsklage gegen die Antragsgegnerin vor einem ad hoc-Schiedsgericht mit Sitz in Stockholm. Die Antragstellerin zu 1) verlangt dort Schadensersatz in Höhe von X EUR, die Antragstellerin zu 2) in Höhe von Y EUR.
Auf Antrag der Antragsgegnerin erließ das Handelsgericht der Stadt St. Petersburg und der Region Leningrad (nachfolgend: Handelsgericht) am 13.03.2024 gegenüber den Antragstellerinnen eine Untersagungsverfügung, die es diesen unter Androhung einer Strafzahlung in Höhe von Z EUR untersagte, das Schiedsverfahren fortzuführen. Die Entscheidung ist nach russischem Recht sofort vollstreckbar. Die Antragstellerinnen legten jeweils Rechtsmittel ein.
Sie haben geltend gemacht, sie müssten das Schiedsverfahren fortführen, um ihren Anspruch auf Schadensersatz durchzusetzen. Es sei zwar nicht davon auszugehen, dass die Entscheidung des Handelsgerichts im EU-Ausland oder in westlichen Staaten vollstreckbar wäre, da sie auf einer willkürlichen Rechtsgrundlage beruhe und in einem unfairen Verfahren erlassen worden sei. Jedoch bestünde die Gefahr, dass diese Entscheidung in der Russischen Föderation sowie in anderen Staaten, in denen sie - die Antragstellerinnen - möglicherweise Vermögenswerte hätten und mit denen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen mit der Russischen Föderation bestünden, vollstreckt werden würde. Durch die Entscheidung des Handelsgerichts und deren drohende Durchsetzung seien sie in ihren Rechten auf Justizgewähr und auf ein faires Verfahren verletzt. Die Entscheidung widerspreche grundlegenden Prinzipien des deutschen Rechts, des internationalen Zivilprozessrechts und des Völkerrechts. So sei die russische Föderation nach wie vor Mitglied des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (UNÜ). Die beantragte Anti-Anti-Suit-Injunction könne das einzige Mittel sein, um eine Vollstreckung des Urteilsspruchs des Handelsgerichts zu verhindern. Ihr Verfügungsanspruch ergebe sich aus den Schiedsklauseln iVm ihren Justizgewährungsansprüchen aus Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG.
Das zunächst von den Antragstellerinnen mit Antrag vom 22.04.2024 angerufene Landgericht Weiden i.d.OPf. hat das Verfahren auf deren Hilfsantrag hin mit Besch...