Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwaltsgebühren: Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die im nachfolgenden Prozess angefallene Verfahrensgebühr
Leitsatz (redaktionell)
§ 15a RVG hat die bisherige Gesetzeslage geändert und ist als eigenständige Vorschrift formuliert worden, die auch inhaltlich eine Änderung des bisher geltenden Rechts bewirkt.
Normenkette
RVG § 45 ff.; RVG VV Nrn. 2300, 3100
Verfahrensgang
AG Neuss (Beschluss vom 06.10.2009) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Landeskasse wird der Beschluss des AG Neuss - Familiengericht - vom 6.10.2009 abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die als Erinnerung auszulegende "sofortige Beschwerde" des Antragstellers vom 10.8.2009 (Bl. 31 PKH-Heft) gegen den Beschluss des AG Neuss - Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle - vom 22.7.2009 (Bl. 30 PKH-Heft) wird zurückgewiesen.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Beschwerde der Landeskasse vom 20.10.2009 (Bl. 47 PKH-Heft) gegen den Beschluss des AG Neuss - Familiengericht - vom 6.10.2009 (Bl. 45 f. PKH-Heft) ist gem. §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 2 RVG kraft ausdrücklicher Zulassung zulässig. Sie hat Erfolg und führt unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses zur Zurückweisung der als Erinnerung auszulegenden "sofortige Beschwerde" des Antragstellers vom 10.8.2009 (Bl. 31 PKH-Heft) gegen den Beschluss des AG Neuss - Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle - vom 22.7.2009 (Bl. 30 PKH-Heft).
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hatte die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung des Antragstellers zutreffend auf EUR 453,09 festgesetzt. Erfolglos wendet sich der Antragsteller gegen die Anrechnung einer hälftigen Geschäftsgebühr gemäß RVG VV-Nr. 2300, hier in Höhe eines Gebührensatzes von 0,65, entsprechend EUR 126,75 zzgl. Umsatzsteuer.
1. Es ist davon auszugehen, dass eine Geschäftsgebühr nach RVG VV-Nr. 2300 für die vorgerichtliche Tätigkeit des Antragstellers angefallen ist. Aus der Klageschrift vom 9.4.2009 (Bl. 1 ff. GA) geht hervor, dass der Antragsteller die Unterhaltsansprüche bereits außergerichtlich verfolgt hat.
2. Die Geschäftsgebühr ist nach der Anrechnungsvorschrift RVG VV-Vorbemerkung 3 Abs. 4 auf die im nachfolgenden Prozess angefallene Verfahrensgebühr nach RVG VV-Nr. 3100 zur Hälfte, hier also i.H.v. 0,65 anzurechnen.
Der Staatskasse ist es vorliegend nicht verwehrt, die Anrechnung im Festsetzungsverfahren nach §§ 55 ff. RVG zu berücksichtigen. Dem stehen die aufgrund Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 und 6 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht v. 30.7.2009 (BGBl. I, 2449) mit Wirkung zum 5.8.2009 neugefassten §§ 15a, 55 Abs. 5 Sätze 2 bis 4 RVG nicht entgegen. Dies folgt mangels spezieller Übergangsnorm aus § 60 Abs. 1 RVG. Danach ist die Vergütung nach bisherigem Recht zu berechnen, wenn der Rechtsanwalt - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Änderung beigeordnet worden ist.
a. Der Senat hat in seinem grundlegenden Beschluss vom 10.12.2009, II-10 WF 34/09, eingehend ausgeführt, dass durch § 15a RVG die bisherige Gesetzeslage geändert - und nicht lediglich klargestellt - worden ist. § 15a RVG wurde als neue, eigenständige Vorschrift formuliert und in das Gesetz eingefügt und bewirkt auch inhaltlich eine Änderung des bisher geltenden Rechts (ebenso: BGH v. 29.9.2009 - X ZB 1/09, JURIS; OLG Celle v. 19.10.2009 - 2 W 280/09, JURIS; KG v. 13.10.2009, 27 W 98/09, JURIS; KG v. 10.9.2009, 27 W 68/09, ZIP 2009, 2124; OLG Braunschweig v. 10.9.2009 - 2 W 155/09, JURIS; VGH Bay. 21.10.2009, 19 C 09.2395, JURIS; Hess. LAG v. 26.10.2009, 13 Ta 530/09, JURIS; OVG Lüneburg v. 27.10.2009, 13 OA 134/09, JURIS und v. 17.11.2009, 10 OA 166/09, JURIS; offengelassen: OLG Köln v. 14.9.2009 - 17 W 195/09, AGS 2009, 512 und v. 31.10.2009 - 17 W 261/09, JURIS; a.A.: BGH v. 2.9.2009 - II ZB 35/07, ZIP 2009, 1927; OLG Stuttgart v. 11.8.2009 - 8 W 339/09, AGS 2009, 371; OLG Düsseldorf v. 20.8.2009 - II-3 WF 14/09, AGS 2009, 372; OLG Koblenz v. 1.9.2009 - 14 W 553/09, AGS 2009, 420).
b. Der Anwendbarkeit des § 60 Abs. 1 RVG steht nicht entgegen, dass nur § 15a Abs. 1 RVG die Berechnung der Vergütung zwischen Anwalt und Auftraggeber betrifft, während § 15a Abs. 2 und § 55 Abs. 5 sich auf die Auswirkungen der Gebührenanrechnung im Verhältnis zum Dritten bzw. zur Staatskasse beziehen (vgl. Senatsbeschluss v. 10.12.2009, II-10 WF 34/09; a.A.: OLG München v. 13.10.2009 - 11 W 2244/09, JURIS; OLG Braunschweig v. 10.9.2009 - 2 W 155/09, JURIS; OLG Dresden v. 13.8.2009 - 3 W 793/09, JURIS; Hansens, ZfS 2009, 428 ff. unter Ziff. IV, JURIS). § 15a Abs. 2 und auch § 55 Abs. 5 Sätze 3 und 4 RVG können nicht isoliert von § 15a Abs. 1 RVG betrachtet werden. Beide Regelungen knüpfen an den in § 15a Abs. 1 RVG neu definierten Begriff der Anrechnung an (vgl. OVG Lüneburg v. 27.10.2009, 13 OA 134/09, JURIS).
Aus der Anwendbarkeit des § 60 Abs. 1 RVG folgt, dass § 15a RVG in Vergütungsfestsetzungsverfahren, die - wie das Vorliegende - zum Zeitpunkt des Inkraf...