Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Entscheidung vom 10.10.2007)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 23. kleinen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 10. Oktober 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.

 

Gründe

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen "gewerbsmäßigen Handels" mit Betäubungsmitteln (Heroin) in zwei Fällen und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu zwei Jahren und zwei Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten verworfen. Dessen Revision hat mit der Sachrüge vorläufig Erfolg. Die Urteilsgründe genügen nicht den erhöhten Anforderungen, die - auch von Verfassungs wegen, BVerfG NJW 2003, 2444, 2445 - in Fällen von Aussage gegen Aussage an die Beweiswürdigung zu stellen sind. Auf die Verfahrensrügen braucht deshalb nicht eingegangen zu werden.

1.

Die richterliche Überzeugung setzt neben der persönlichen Gewissheit des Richters objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlußfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht begründen kann (BGH StV 2002, 235; NJW 2002, 2190, 2191; NJW 2003, 1748, 1751 f; NJW 2005, 300, 308; jeweils mwN; vgl. auch BVerfG aaO). Diese Tatsachengrundlage muss in den Urteilsgründen belegt sein. Es reicht nicht aus, nur das Ergebnis der Schlussfolgerungen, nicht aber die Tatsachen mitzuteilen, die einen solchen Schluss zulassen können, weil dann eine Nachprüfung der tatrichterlichen Überzeugungsbildung durch das Revisionsgericht nicht möglich ist (BGH NJW 2002, 2190, 2191).

2.

Beruht der Schuldspruch allein auf der Aussage des einzigen Belastungszeugen, so sind an die Überzeugungsbildung des Tatrichters strenge Anforderungen zu stellen. Zwar ist der Tatrichter nicht grundsätzlich schon dann durch den Zweifelssatz (im Zweifel für den Angeklagten) an der Verurteilung gehindert, wenn der Angeklagte schweigt oder Aussage gegen Aussage steht und außer der Aussage des Belastungszeugen keine weiteren belastenden Indizien vorliegen. Der Tatrichter muss sich jedoch bewusst sein, dass die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen ist, zumal der Angeklagte in solchen Fällen wenig Verteidigungsmöglichkeiten durch eigene Äußerungen zur Sachlage besitzt. Eine lückenlose Aufklärung und Würdigung aller Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, ist dann von besonderer Bedeutung. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass der Tatrichter das gesehen und sich dieser Aufgabe unterzogen hat (vgl. BVerfG aaO; Maier NStZ 2005, 246; jeweils mit zahlreichen Nachweisen der BGH-Rechtsprechung; zuletzt BGH, 2 StR 375/05 vom 14. Dezember 2005; 4 StR 268/05 vom 22. Dezember 2005 ≪bundesgerichtshof.de≫).

3.

Diese erhöhten Anforderungen an die Beweiswürdigung gelten erst recht, wenn die "Falschbelastungshypothese" (Brause NStZ 2007, 505, 510) sich aufdrängt, weil der einzige Belastungszeuge kein neutraler Zufallszeuge ist, sondern ein handfestes eigenes Interesse an der Beurteilung des Lebensvorgangs hat, um den es geht. In Betäubungsmittelverfahren ist das insbesondere der Fall, wenn der Zeuge an dem Rauschgiftgeschäft beteiligt war, denn dann liegt nicht fern, dass er den Angeklagten zu Unrecht belastet, um seine Rolle bei dem Geschäft zu verharmlosen oder sich mit Blick auf § 31 BtMG Vorteile zu verschaffen (BGH NStZ-RR 2003, 245; StV 2004, 578; 4 StR 268/05 vom 22. Dezember 2005, Rdnr. 9 ≪bundesgerichtshof.de≫; Brause, aaO).

4.

Hier hat eine solche Ausgangslage bestanden. Die Feststellung, dass der Angeklagte mit Heroin Handel getrieben habe, beruht im Kern allein auf den Angaben des Zeugen Acachar. Nach der Erklärung, die der Angeklagte durch seinen Verteidiger abgegeben hat, waren die Rollen dagegen umgekehrt. Danach war Acachar der Händler und der Angeklagte nur Konsument und Kunde.

5.

Das Landgericht hat seine Überzeugung, dass der Angeklagte mit Heroin Handel getrieben hat, im Wesentlichen aus Acachars Zeugenaussage vor dem Amtsgericht gewonnen. Wie es diese Aussage in die Berufungshauptverhandlung eingeführt hat (§ 261 StPO), ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Falls es das Protokoll über die Aussage in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung nach §§ 325, 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen hat, weil Acachar unauffindbar war, reichte das nach Lage des Falles als Beweisgrundlage nicht aus. Die ersetzende Verlesung nach § 325 StPO ist für Fälle gedacht, in...

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