Leitsatz (amtlich)
1. Der Richter hat, bevor er die Durchsuchung von (Wohn-) räumen (hier eines Sportschützen nach Waffen und Munition) anordnet, unter Zugrundelegung des vorgetragenen und nach etwaigen weiteren Ermittlungen festgestellten Sachverhalts in eigener Verantwortung zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung dieser Maßnahme vorliegen und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist.
2. Erweist sich die Sicherstellungsentscheidung der Behörde (hier: Waffenrechtsbehörde), die grundsätzlich nicht vom Richter zu überprüfen ist, als handgreiflich rechtswidrig, so kann sie nicht (rechtmäßige) Grundlage für eine Durchsuchungsanordnung sein.
3. Eine auf psychische Auffälligkeiten des Betroffenen (hier: besonders intensive Rechtswahrung; Tendenzen zur Fremdverdächtigung und Distanzlosigkeit; Ungebühr vor Gericht) gestützte behördliche Anordnung der Sicherstellung ist handgreiflich rechtswidrig, wenn sie ohne einen durch gründliche persönliche Untersuchung gewonnenen medizinisch-psychologischen Befund erfolgt und die Behörde einen solchen Befund nicht unterstellen darf, weil nicht feststeht, dass der Betroffene das von ihm verlangte fachmedizinische Gutachten schuldhaft nicht rechtzeitig beigebracht hat.
4. Liegen keine durch Tatsachen gestützten Erkenntnisse dazu vor, dass der Betroffene Waffen außerhalb der Schießanlage in Wohn- und Geschäftsräumen aufbewahrt und besteht kein Anhalt für die missbräuchliche Verwendung von Waffen und Munition außerhalb der Schießanlage, namentlich nach Widerruf der Erlaubnis, kann die Durchsuchungsanordnung sich als unverhältnismäßig erweisen.
Normenkette
GG Art. 13; WaffG § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 46 Abs. 2, § 4 Abs. 4, § 48 Abs. 1, § 49 Abs. 2 Nr. 6; AWaffV § 4 Abs. 6; FamFG §§ 26, 62 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Neuss (Aktenzeichen 8 Gs 88/13) |
Tenor
Unter Zurückweisung des Antrags auf Herausgabe der sichergestellten Sachen als unzulässig wird festgestellt, dass der Beschluss des AG Viersen vom 22./28.8.2013, durch den die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume sowie etwaiger Fahrzeuge des Beteiligten zu 1 angeordnet worden ist, ihn in seinen Rechten verletzt hat.
Geschäftswert: 5.000 EUR.
Gründe
I. Mit Schreiben vom 7.7.2012 teilte der Beteiligte zu 2 dem Beteiligten zu 1 mit, der Oberbürgermeister der Stadt Leverkusen habe dem Bürgermeister der Stadt Dormagen über auffälliges Verhalten des Beteiligten zu 1 gegenüber Mitarbeitern der Stadt Leverkusen berichtet, das eine Überprüfung der Zurechnungsfähigkeit des Beteiligten zu 1 nahe lege. So habe der Beteiligte zu 1 am 27.11.2012 bei der Leitstelle einen bewaffneten Raubüberfall gemeldet und Polizeibeamte als Täter benannt, die ihn dienstlich aufgesucht hätten. Am 21.2.2013 habe der Beteiligte zu 1 in einem Gerichtstermin gegen den Bürgermeister der Stadt Dormagen einen Befangenheitsantrag gegen die amtierende Richterin gestellt, weil diese seine Rede unterbrochen habe; nach Ablehnung dieses Antrags habe er erneut einen Befangenheitsantrag sowie Strafantrag wegen Rechtsbeugung gestellt; weiter habe er die Auffassung geäußert, das Gericht sei kein rechtsstaatliches Gebäude, weil er am Eingang kontrolliert worden sei; am Ende der Verhandlung habe er brüllend den Gerichtssaal verlassen.
Aufgrund dieser Vorfälle halte er, der Beteiligte zu 2, die erforderliche Zuverlässigkeit des Beteiligten zu 1 im Sinne des Waffengesetzes nicht mehr für gegeben, weshalb beabsichtigt sei, dem Beteiligten zu 1 die Waffenbesitzkarte zu widerrufen. Um dem entgegen zu wirken, erhalte er, der Beteiligte zu 1 gem. § 28 Abs. 1 VwVfG NW i.V.m. § 6 Abs. 2 WaffG bis zum 15.8.2013 Gelegenheit ein amts- oder fachärztliches oder fachpsychologisches Zeugnis über die geistige oder körperliche Eignung beizubringen und sich zu der beabsichtigten Maßnahme zu äußern.
Mit Schrift vom 5.8.2013 baten die Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 1 um Fristverlängerung und legten unter dem 9.8.2013 das Mandat nieder. Der Beteiligte zu 1 bat den Sachverständigen N. um eine fachpsychologische Begutachtung, die dieser ablehnte.
Aus einem Vermerk vom 15.8.2013 über ein Gespräch mit dem Sachverständigen N. geht hervor, dass er die "Schreibweise" des Beteiligten zu 1 für sehr ungewöhnlich hält; aus der Email sei bereits ersichtlich, dass Anzeichen auf eine psychische Erkrankung vorliegen könnten.
Durch Bescheid vom 16.8.2013 widerrief der Beteiligte zu 2 gem. § 45 Abs. 2 WaffG die dem Beteiligten zu 1 erteilte Waffenbesitzkarte Nr. 035190/01, die darin eingetragene Erlaubnis zum Erwerb und Besitz von Munition sowie den kleinen Waffenschein Nr. 35190 und ordnete nach § 46 Abs. 4 Nr. 2 WaffG die Sicherstellung der eingetragenen Schusswaffen Pistole Kaliber. 45 Auto, Heckler & Koch Nr. 25-087640 und Pistole Kaliber. 50AE, unbekannter Hersteller, Nr. 88635 der in seinem Besitz befindlichen erlaubnispflichtigen Munition sowie die sofortige Vollziehung der Maßnahme nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO an.
Auf die auf § 46 Abs. 2, 4 WaffG gestützten Anträge des Beteilig...