Entscheidungsstichwort (Thema)

Haager Übereinkommen vom 15.11.1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen - BGBl. II 1977, 1452 ff. (HZÜ) Art. 1, 13

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Klage nach us-amerikanischem Recht, mit der unbeziffert Strafschadensersatz (punitive damages) gefordert wird, gehört zu den Zivil- oder Handelssachen gem. Art. 1 HZÜ.

2. Die Vorbehaltsklausel des Art. 13 HZÜ eröffnet grundsätzlich nicht die Möglichkeit, die Zustellung einer solchen der Klage in Deutschland zu verhindern; wegen Verstoßes gegen deutsches Verfassungsrecht kann etwas anderes ausnahmsweise dann gelten, wenn feststeht, dass die im Klageweg geltend gemachte Forderung offenkundig keine substantielle Grundlage hat oder das Verfahren vor staatlichen Gerichten in einer offensichtlich missbräuchlichen Art und Weise genutzt werden soll, um mit publizistischem Druck und dem Risiko einer Verurteilung einen Marktteilnehmer gefügig zu machen.

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Aktenzeichen 934 E. 1-7.351-05)

AG Düsseldorf (Aktenzeichen 93 Ea-70/05)

 

Tenor

Der Antrag wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.

Der Geschäftswert beträgt 500.000 EUR.

 

Gründe

A. Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Antrag vom 7.10.2005 gegen die von der Antragsgegnerin nach dem Haager Übereinkommen vom 15.11.1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen - BGBl. II 1977, 1452 ff. (HZÜ) vermittelte und am 22.9.2006 erfolgte Zustellung einer unbezifferten Schadenersatzklage.

In ihrer gegen die Antragstellerin und weitere genannte und unbekannte Beklagte gerichteten Klage behaupten die dort namentlich aufgeführten Kläger, als Anwohner einer Fabrikanlage in N/Kalifornien durch von diesem Werk ausgehende Umweltverschmutzungen geschädigt worden zu sein. Sie machen geltend, das Werk sei von einem zumindest zeitweise zum Konzern der Antragstellerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin, der V AG, gehörenden Unternehmen betrieben worden. Sie kündigen an, die Klage zur Zeit der Verhandlung zu ergänzen, da das Ausmaß der Schäden noch nicht festliege. Sie beantragen u.a. "ein Urteil gegen alle Beklagten ... für vergangene und zukünftige Schäden je nach Beweis" und die Festsetzung eines "Strafe einschließenden und abschreckenden Schadensersatz(es) in einer bei der Verhandlung zu bestimmenden Höhe."

Die Antragstellerin macht geltend:

Die Klage sei nicht als Zivil- und Handelssache i.S.d. Art. 1 HZÜ anzusehen. Ein Strafschadensersatz, wie er hier gefordert werde, diene hauptsächlich der Abschreckung und Sanktionierung. Hierdurch werde die Verfolgung von Rechtsverstößen auf private Initiative gefördert. Bei funktionaler Betrachtung würden daher mit der Klage öffentliche Zwecke verfolgt. Auch die gewählte Klageart der Sammelklage diene öffentlichen Interessen. Schließlich weiche auch die Klage in unbestimmter Höhe von dem die Zivil- und Handelssachen prägenden Bild einer Klage nach der Parteimaxime ab.

Selbst bei einer Anwendbarkeit des Abkommens stehe Art. 13 Abs. 1 HZÜ der Klagezustellung entgegen. Ein Zustellungsersuchen sei dann abzulehnen, wenn die Zustellung eine schwere Beeinträchtigung der Wertungsgrundlagen der Rechtsordnung des ersuchten Staates mit sich brächte.

Das sei hier der Fall. Sie (die Antragstellerin) werde ohne erkennbare Anspruchsgrundlage in ein auf Verhängung von Strafschadensersatz abzielendes Verfahren vor US-amerikanischen Gerichten einbezogen. Die Zustellung einer Klage aber, die offenkundig keine substantielle Grundlage habe, verstoße gegen Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip und verletze damit unverzichtbare Grundsätze des freiheitlichen Rechtsstaats (BVerfG v. 25.7.2003 - 2 BvR 1198/03, CR 2003, 762 = NJW 2003, 2598 [2599]).

Neben dem Gerichtsverfahren betrieben die Kläger eine öffentliche Kampagne. Es liege auf der Hand, dass das Verfahren in einer offenkundig missbräuchlichen Art und Weise genutzt werde, um sie (die Antragstellerin) als solventen Kontrahenten neben den anderen verklagten Unternehmen mit publizistischem Druck und dem Risiko einer Verurteilung in einen Vergleich zu zwingen.

Angesichts der Besonderheiten der Verfahrensumstände sei hier ein erweiterter Prüfungsmaßstab des mit der Zustellung befassten Gerichts anzunehmen.

Bei Klagen, die augenscheinlich auf einen erzwungenen Vergleich, statt auf ein Urteil i.S.v. § 328 ZPO abzielten und die schon mit der Zustellung erhebliche Kostentragungspflichten für die beklagte Partei mit sich brächten, müsse bereits bei Prüfung der Zustellbarkeit der allgemeine ordre public-Vorbehalt als Maßstab angesetzt werden. In diesen Fällen sei nicht erst die Überprüfung eines künftigen Urteils, das voraussichtlich gar nicht ergehen werde, sondern schon die Klagezustellung der maßgebliche Eingriffsakt, der am ordre public zu messen sei (OLG Koblenz NJOZ 2005, 3122 [3140]). Danach dürfe eine Zustellung nicht erfolgen, denn es sei allgemein anerkannt, dass die Klage a...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge