Tenor

Gegen die Zeugin wird ein Ordnungsgeld in Höhe von 150,-- Euro, ersatzweise je 75,-- Euro ein Tag Ordnungshaft, festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat in seiner Sitzung vom 25. Juni 2019 den Untersuchungsausschuss IV (im Folgenden "Untersuchungsausschuss") eingesetzt und diesen beauftragt, mögliche Versäumnisse, Unterlassungen, Fehleinschätzungen und etwaiges Fehlverhalten der Landesregierung, insbesondere der Staatskanzlei, der Ministerien des Inneren und der Justiz sowie des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen und der ihrer Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht unterliegenden Behörden und der Behörden des Kreises Lippe hinsichtlich der sexuellen Übergriffe auf Kinder und Jugendliche auf einem Campingplatz in Lügde und ggf. an anderen Orten zu untersuchen und aufklären. Hierzu sollen innerbehördliche und inner- und interministerielle lnformationsflüsse sowie die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und die Kommunikation gegenüber dem Parlament aller beteiligten Stellen des Landes Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf u.a folgenden Themenkomplex untersucht werden:

"...ob die betroffene Pflegetochter nicht schon vor November 2018 in Obhut hätte genommen werden müssen. Im Zeitraum der Prüfung zur Erteilung der Pflegeerlaubnis lagen bereits Hinweise auf sexuellen Missbrauch vor. Der Untersuchungsausschuss soll überprüfen, ob die beteiligten Jugendämter bzw. die Aufsichtsbehörde sachgerecht diesen Hinweisen auf sexuellen Missbrauch nachgegangen sind und entsprechende Verfahren in die Wege geleitet haben.

Der Untersuchungsausschuss soll untersuchen, ob die Jugendämter bzw. die Aufsichtsbehörde mutmaßlichen Hinweisen auf sexuellen Missbrauch durch den Hauptangeklagten V. sachgerecht nachgegangen und ob ihnen insofern und hinsichtlich ihrer Schutzpflichten im Übrigen Versäumnisse, Unterlassungen, Fehleinschätzungen und etwaiges Fehlverhalten unterlaufen sind. Die Untersuchung fokussiert sich auf den Zuständigkeitsbereich des Jugendamtes Lippe bzw. die Aufsichtsbehörde. Die Entscheidungen des Jugendamts Hameln-Pyrmont sollen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten einbezogen werden. Es muss untersucht werden, ob das Jugendamt Lippe bzw. die Aufsichtsbehörde ihrem Schutzauftrag dem Kind gegenüber in vollem Maße nachgegangen sind. Die lnformationsübermittlungen und Kommunikation zwischen den Jugendämtern und der Kreispolizeibehörde Lippe bzw. den jeweils dienstvorgesetzten Behörden ist ebenfalls Gegenstand der vorliegenden Untersuchung, da die Hinweise gegen den Hauptangeklagten V. auch der Kreispolizeibehörde Lippe bekannt waren."

Der Untersuchungsausschuss hat beschlossen, die Antragsgegnerin als Zeugin zu vernehmen. Unter dem 15. Mai 2020 wurde ihr dazu durch den Landrat des Kreises Hameln-Pyrmont eine Aussagegenehmigung erteilt. In der für die Vernehmung vorgesehenen Sitzung am 25. Mai 2020 ist die ordnungsgemäß geladene Zeugin in Begleitung von Rechtsanwältin Dr. Y__ als Zeugenbeiständin erschienen und hat Angaben zu ihrer Person gemacht. Bevor der Ausschussvorsitzende eine Frage zur Sache gestellt hat, haben die Zeugin und für diese ihre Beiständin unter Berufung auf ein vollumfängliches Auskunftsverweigerungsrecht erklärt, keine der beabsichtigten Fragen zu beantworten.

Der Ausschussvorsitzende beantragt die Festsetzung von Zwangsmitteln nach dem Ermessen des Gerichts und vertritt hierzu die Auffassung, die Zeugin habe ohne gesetzlichen Grund das Zeugnis verweigert, da eine "fragenunabhängige Totalverweigerung" vorliege.

Die Zeugin X__ ist dem Antrag entgegengetreten. Der Ausschussvorsitzende habe den in Rede stehenden Beweisbeschluss nicht vorgelegt, der neben dem Einsetzungsbeschluss und der landesrechtlichen Kompetenzverteilung das Fragerecht des Ausschusses begrenze. Ferner stehe der Zeugin ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zu. Schließlich sei die Verhängung von Ordnungsmitteln ermessensfehlerhaft.

II. Der nach § 16 Abs. 1 UAG NRW zulässige Antrag, über den gemäß § 26 Abs. 1 UAG NRW der Ermittlungsrichter beim Oberlandesgericht Düsseldorf zu befinden hat, ist begründet.

1. § 55 StPO (hier § 17 Abs. 1 UAG NRW) gibt dem Zeugen das Recht, die Auskunft auf einzelne Fragen zu verweigern, insofern ist das Auskunftsverweigerungsrecht "themenbezogen". Maßgebend für die Berechtigung zur Auskunftsverweigerung ist die an den Zeugen gestellte Frage, wobei er allerdings schon bei seinem zusammenhängenden Bericht zum Gegenstand des Verfahrens die Auskunft über einzelne Tatsachen oder Sachverhaltskomplexe verweigern kann (vgl. Bertheau/Ignor in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2017, § 55 Rn. 5 m.w.N.).

Zu einer umfassenden Verweigerung der Aussage ist der Zeuge grds. nicht berechtigt. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschriften der § 55 StPO, § 17 Abs. 1 UAG NRW ("auf solche Fragen"). § 55 StPO berechtigt aber dann zur umfassenden Verweigerung der Aussage, wenn die gesamte in Betracht kommende Aussage eines Zeugen mit einem...

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