Leitsatz (amtlich)
Der in dem Sitzungsprotokoll enthaltene Vermerk "Rechtsmittelbelehrung ist erfolgt" beweist nicht, dass dem Angeklagten auch die nach § 35a Satz 2 StPO erforderliche Belehrung über die Rechtsfolgen des § 40 Abs. 3 StPO erteilt wurde. Vielmehr gilt die Nichterteilung der zusätzlichen Belehrung über die erleichterten Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung als erwiesen, wenn das Sitzungsprotokoll dazu keine konkrete Angabe enthält.
Normenkette
StPO § 35a S. 2, § 40 Abs. 3, § 44 S. 2, §§ 274, 329 Abs. 7
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung vom 12. März 2020 gewährt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Duisburg-Ruhrort hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte beschränkt auf den Strafausspruch Berufung eingelegt. In der Berufungshauptverhandlung, zu der er nach § 40 Abs. 3 StPO durch öffentliche Zustellung geladen wurde, ist er ausgeblieben. Das Landgericht Duisburg hat die Berufung daraufhin gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen.
Wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung hat der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten.
II.
Die gemäß §§ 46 Abs. 3, 311 Abs. 2 StPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.
Dem Angeklagten ist wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung vom 12. März 2020 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§§ 329 Abs. 7, 44 StPO). Denn er ist vor der öffentlichen Zustellung der Terminsladung nicht, wie es § 35a Satz 2 StPO erfordert, über die Rechtsfolgen des § 40 Abs. 3 StPO belehrt worden. Nach dieser von dem Landgericht angewendeten Vorschrift ist die öffentliche Zustellung im Verfahren über eine vom Angeklagten eingelegte Berufung bereits zulässig, wenn eine Zustellung nicht unter einer Anschrift möglich ist, unter der letztmals zugestellt wurde oder die der Angeklagte zuletzt angegeben hat.
1.
Die Tatsache, dass dem Angeklagten die nach § 35a Satz 2 StPO erforderliche Belehrung nicht erteilt wurde, bedarf keiner Glaubhaftmachung, da dies bereits aus der negativen Beweiskraft des amtsgerichtlichen Sitzungsprotokolls folgt (§ 274 StPO). Die Belehrung gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung und nimmt an der Beweiskraft des Protokolls teil (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 35a Rdn. 8; LK-Graalmann-Scheerer, StPO, 27. Aufl., § 35a Rdn. 29).
In dem amtsgerichtlichen Sitzungsprotokoll ist nach der Urteilsverkündung lediglich vermerkt: "Rechtsmittelbelehrung ist erfolgt." Dies belegt allein, dass dem Angeklagten mündlich die nach § 35a Satz 1 StPO erforderliche Rechtsmittelbelehrung erteilt wurde. Die in § 35a Satz 2 StPO vorgesehene Belehrung über die Rechtsfolgen des § 40 Abs. 3 StPO betrifft hingegen kein Rechtsmittel, sondern die erleichterten Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung in dem Verfahren über eine vom Angeklagten eingelegte Berufung. Es handelt sich trotz der - insoweit missverständlichen - Überschrift des § 35a StPO nicht um eine Rechtsmittelbelehrung, sondern um eine zusätzliche Belehrung aufgrund einer Sondervorschrift (vgl. KMR-Ziegler, StPO, 78. Lfg., § 35a Rdn. 24).
Der in dem Sitzungsprotokoll enthaltene Vermerk "Rechtsmittelbelehrung ist erfolgt" beweist daher nicht, dass dem Angeklagten auch die nach § 35a Satz 2 StPO erforderliche Belehrung über die Rechtsfolgen des § 40 Abs. 3 StPO erteilt wurde (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Oktober 2013, III-2 Ws 451/13, n.v.; OLG Hamm NStZ 2014, 421, 422). Vielmehr gilt die Nichterteilung der zusätzlichen Belehrung über die erleichterten Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung als erwiesen, wenn das Sitzungsprotokoll dazu - wie hier - keine konkrete Angabe enthält (§ 274 StPO).
Der Begriff "Rechtsmittelbelehrung" umfasst inhaltlich nicht die zusätzliche Belehrung nach § 35a Satz 2 StPO (vgl. auch OLG Brandenburg NStZ 2018, 117 für den Fall des Verzichts auf eine "Rechtsmittelbelehrung"). Es ist Sache des Gerichts, die Erteilung der zusätzlichen Belehrung in dem Sitzungsprotokoll unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen. Zwecks Erinnerung an das zusätzliche Belehrungserfordernis wie auch zur inhaltlichen Klarstellung wäre es sachdienlich, in den Protokollvordrucken - wie dies bereits für die qualifizierte Belehrung im Falle einer Verständigung (§§ 35a Satz 3, 257c StPO) gehandhabt wird - eine gesonderte Rubrik für die zusätzliche Belehrung nach § 35a Satz 2 StPO vorzusehen.
2.
Das Fehlen der zusätzlichen Belehrung führt dazu, dass dem Angeklagten wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu...