Leitsatz (amtlich)
§ 81 Abs. 6 GWB, der die Verzinsung von kartellbehördlich festgesetzten Bußgeldern anordnet, verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG, weil er ohne sachliche Rechtfertigung unterscheidet (i) zwischen juristischen Personen und Personenvereinigungen einerseits und Einzelkaufleuten und persönlich Betroffenen andererseits, (ii) zwischen Kartellbußgeldschuldnern und Schuldnern von Bußgeldern aus dem Umweltrecht, dem Straßenverkehrsrecht oder dem Datenschutzrecht und (iii) Schuldnern, deren Bußgeld von der Kartellbehörde verhängt wird, und solchen, bei denen das Gericht im Einspruchsverfahren das Bußgeld festsetzt.
Verfahrensgang
BKartA (Beschluss vom 11.03.2011; Aktenzeichen B 4-82/02-5) |
Tenor
I. Der Antrag der Antragstellerin auf gerichtliche Entscheidung gegen den Verwerfungsbeschluss vom 29.4.2011 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Auf den Antrag der Antragstellerin wird die Vollstreckung des Beschlusses des BKartA vom 11.3.2011 - in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 28.4.2011 - betreffend die Anforderung des Zinsbetrages i.H.v. 6.820.751,33 EUR zu dem mit Bußgeldbescheid vom 15.11.2005 (B 4-82/02-5) festgesetzten Bußgeld bis zur Entscheidung über die gegenüber dem BKartA erhobenen Einwendungen ausgesetzt.
Gründe
I. Das BKartA hat gegen die Antragstellerin mit Bescheid vom 15.11.2005 ein zwischenzeitlich rechtskräftiges Bußgeld i.H.v. 25.500.000 EUR festgesetzt. Der Bußgeldbescheid ist der Antragstellerin am 18.11.2005 zugestellt worden. Durch Zahlungen von 500.000 EUR am 10.3.2009 und weiteren 25.000.000 EUR am 10.7.2009 hat die Antragstellerin die verhängte Geldbuße vollständig bezahlt, nachdem sie zuvor ihren Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurückgenommen hatte.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das BKartA die Antragstellerin gem. § 81 Abs. 6 GWB i.V.m. §§ 247, 288 Abs. 1 BGB zur Zahlung eines Zinsbetrages von 6.820.829,25 EUR - durch Berichtigungsbeschluss vom 28.4.2011 geringfügig reduziert auf 6.820.751,33 EUR - aufgefordert. Die Antragstellerin hat dagegen Einspruch nach § 67 OWiG eingelegt und hilfsweise Einwendungen gegen die Vollstreckung nach § 103 Abs. 1 Nr. 3 OWiG erhoben. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 81 Abs. 6 GWB geltend.
Das BKartA hat mit Beschluss vom 29.4.2011 den Einspruch als unzulässig verworfen sowie dem Antrag nach § 103 Abs. 1 Nr. 3 OWiG nicht entsprochen und die Sache dem Senat zur Entscheidung zugeleitet.
Dagegen richtet sich der Antrag der Antragstellerin auf gerichtliche Entscheidung. Sie hält die Verwerfung ihres Einspruchs für rechtsfehlerhaft und verfolgt hilfsweise die gegen § 81 Abs. 6 GWB erhobenen Einwendungen unter dem Gesichtspunkt des § 103 Abs. 1 Nr. 3 OWiG weiter. Dazu begehrt sie vorab die Aussetzung der Vollstreckung aus dem Zinsbescheid.
Die Antragstellerin beantragt - soweit vorliegend von Interesse - sinngemäß,
1. den Verwerfungsbeschluss vom 29.4.2011 aufzuheben,
2. die Vollstreckung des Beschlusses des BKartA vom 11.3.2011 - in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 28.4.2011 - bis zur Entscheidung über die gegenüber dem BKartA erhobenen Einwendungen auszusetzen.
Das BKartA beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Es verteidigt den angefochtenen Beschluss und tritt den Ausführungen der Antragstellerin im Einzelnen entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den angefochtenen Beschluss sowie auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.
II. Der Antrag der Antragstellerin auf gerichtliche Entscheidung gegen die Verwerfung ihres Einspruchs bleibt ohne Erfolg. Ihr Antrag, die Vollstreckung des angeforderten Zinsbetrages auszusetzen, ist demgegenüber berechtigt.
A. Das BKartA hat den Einspruch der Antragstellerin mit Recht verworfen. Gegen eine auf § 81 Abs. 6 GWB gestützte kartellbehördliche Zinsfestsetzung ist nicht der Einspruch nach § 67 OWiG, sondern der Rechtsbehelf des § 103 Abs. 1 Nr. 3 OWiG eröffnet.
1. Gemäß § 103 Abs. 1 OWiG entscheidet das Gericht nicht nur über Einwendungen, die gegen die Zulässigkeit des Vollstreckungsverfahrens insgesamt erhoben werden (Nr. 1), sondern daneben auch über die sonst bei der Vollstreckung eines Bußgeldbescheides getroffenen Maßnahmen der Vollstreckungsbehörde (Nr. 3). Geht es - wie vorliegend - um die Vollstreckung eines Kartellbußgeldbescheides, können Einzelanordnungen und Einzelmaßnahmen, die die Kartellbehörde in ihrer Eigenschaft als Vollstreckungsbehörde im Zusammenhang mit der Durchsetzung des Bußgeldbescheides trifft, gem. § 103 Abs. 1 Nr. 3 OWiG zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden.
2. Zu jenen (Einzel-)Maßnahmen gehört - entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht (Burrichter in FS Bechtold, S. 97 [117]) - die kartellbehördliche Festsetzung des nach § 81 Abs. 6 GWB geschuldeten Zinsbetrages. Es handelt sich um eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung und nicht um die Verhängung einer bußgeldähnlichen Sanktion, gegen die der Einspruch nach ...