Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, wann ein Urteil den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen hat.
Tenor
Die Sache wird gemäß § 121 Abs. 2 GVG in Verbindung mit § 79 Abs. 3 OWiG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt:
Hat in Bußgeldverfahren das gemäß § 77b Abs. 1 OWiG nicht mit Gründen versehene Urteil den inneren Dienstbereich des Gerichts (bereits) verlassen, sobald der erkennende Richter die Vorlage der Akten an die Staatsanwaltschaft zum Zwecke der Zustellung gemäß § 41 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1OWiG angeordnet (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO) und die Akte in den Geschäftsgang gegeben hat?
Gründe
I.
Das Amtsgericht Duisburg-Hamborn hat den Betroffenen mit Urteil vom 5. Oktober 2020 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Die Staatsanwaltschaft hatte an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen und eine Begründung des Urteils nur bei Freispruch und für den Fall beantragt, dass nicht auf ein Fahrverbot erkannt werde. Der Betroffene war von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden und wurde in der Hauptverhandlung durch seinen Verteidiger vertreten. Aus dem in den Akten befindlichen und von der Bußgeldrichterin unterzeichneten Protokoll der Hauptverhandlung ergibt sich unter anderem, dass ein Urteil durch Verlesung der - in das Protokoll aufgenommenen - Urteilsformel und durch mündliche Mitteilung des wesentlichen Inhalts der Urteilsgründe verkündet wurde. Das Protokoll enthält den vollständigen Urteilstenor nebst den angewendeten Vorschriften. Ferner enthält das Protokoll alle für den Urteilskopf nach § 71 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 275 Abs. 3 StPO erforderlichen Angaben.
Mit am 12. Oktober 2020 beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben seines Verteidigers hat der Betroffene gegen das Urteil Rechtsbeschwerde eingelegt.
In Unkenntnis des Eingangs der Rechtsbeschwerde hat die Bußgeldrichterin am 14. Oktober 2020 vermerkt, dass von der Absetzung schriftlicher Urteilsgründe gemäß § 77b Abs. 1 OWiG abgesehen werde, und die Aktenübersendung an die Staatsanwaltschaft zum Zweck der Zustellung des Urteils verfügt. Die Akte wurde noch am selben Tag aus dem Dienstzimmer der Bußgeldrichterin abgetragen und zur Geschäftsstelle gebracht. Noch am 14. Oktober 2020 legte die Geschäftsstelle die Rechtsmittelschrift vom 12. Oktober 2020 ohne Akte der Bußgeldrichterin vor, die daraufhin die mündliche Anordnung an die Geschäftsstelle traf, dass die vorherige - zu diesem Zeitpunkt noch nicht bearbeitete - Zustellungsanordnung nicht ausgeführt und ihr die Akte mit der Rechtsmittelschrift wieder vorgelegt werden solle.
Aufgrund eines Versehens übersandte die Geschäftsstellenbeamtin entgegen der mündlichen Verfügung der Bußgeldrichterin die Akte mit Schreiben vom 14. Oktober 2020 zum Zwecke der Zustellung an die Staatsanwaltschaft, die am 16. Oktober 2020 den Eingang zum Zwecke der Zustellung auf dem Protokoll vermerkte. Nach Rückforderung der Akte hat die Bußgeldrichterin die mündliche Aufhebung der Anordnung der Zustellung mit Vermerk vom 26. Oktober 2020 aktenkundig gemacht, am 29. Oktober 2020 ein mit Gründen versehendes Urteil zu den Akten gebracht und zugleich - neben der Zustellung einer Ausfertigung des Urteils an den Verteidiger - die Zustellung der Urschrift an die Staatsanwaltschaft mit den Akten angeordnet. Die Staatsanwaltschaft hat am 2. November 2020 den Eingang der Akten zum Zwecke der Zustellung auf dem mit Gründen versehenen Urteil vermerkt. Dem Verteidiger wurde das mit Gründen versehene Urteil ebenfalls am 2. November 2020 zugestellt.
Mit am 2. Dezember 2020 beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers hat der Betroffene die Rechtsbeschwerde mit der - nicht näher ausgeführten - Sachrüge begründet.
II.
Der Einzelrichter des Bußgeldsenats hat die Sache mit Beschluss vom 15. Februar 2021 gemäß § 80a Abs. 3 S. 1 OWiG auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern mit der Begründung übertragen, es sei geboten, das Urteil zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen.
III.
1. Der zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde berufene Senat legt die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über die im Beschlusstenor bezeichnete Rechtsfrage vor, weil er beabsichtigt, die Vorlagefrage zu verneinen und abweichend zu beantworten und damit von einer die Vorlagefrage bejahenden Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts abzuweichen.
2. Das Saarländische Oberlandesgericht Saarbrücken hat mit Beschluss vom 6. September 2016 die Vorlagefrage bejaht und dazu im Wesentlichen das Folgende ausgeführt: (Saarländisches OLG Saarbrücken, Beschluss vom 6. September 2016 - Ss Bs 53/2016 [24/16 OWi] -, juris Rdnrn. 11 - 15):
"Es entspricht für das Bußgeldverfahren gefestigter, vom Senat geteilter höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung, dass ein vollständig in das ...