Verfahrensgang

AG Düsseldorf (Aktenzeichen 254 F 68/16)

 

Tenor

I.Auf die Beschwerden des Kindes A... und der Kindesmutter wird der am 21.11.2016 erlassene Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Düsseldorf abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Familiengerichtliche Maßnahmen sind nicht veranlasst.

II.Gerichtskosten für das Verfahren in beiden Instanzen werden nicht erhoben;außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

III.Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Mit Beschluss vom 21.11.2016 hat das Amtsgericht der Kindesmutter unter Fristsetzung bis zum 31.12.2016 aufgegeben, das am 19.02.2005 geborene Kind A... (nachfolgend: B...) an einer öffentlichen Schule oder einer anerkannten Ersatzschule anzumelden und das Kind einer Beschulung zuzuführen; zudem hat es der Kindesmutter die Auflage erteilt, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen, den täglichen Schulbesuch sicherzustellen, mit der Schule bzw. den Lehrern zusammenzuarbeiten, Maßnahmen im Hinblick auf das Schulproblem zu unterstützen und nicht zu boykottieren. Wegen des der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts und der Entscheidungsgründe wird auf den Beschluss verwiesen.

Gegen diese Entscheidung wenden sich sowohl die Kindesmutter als auch das betroffenen Kind. Sie machen geltend, eine Kindeswohlgefährdung liege trotz des unterbleibenden Schulbesuchs nicht vor. Familiengerichtliche Maßnahmen seien wegen der Verletzung der öffentlich-rechtlich normierten Schulpflicht nicht veranlasst.

II. Die gemäß § 58 FamFG statthaften und auch im Übrigen zulässigen Beschwerden des - von seiner Mutter vertretenen - betroffenen Kindes sowie der Kindesmutter sind in der Sache begründet. Sie führen zur Abänderung der Entscheidung des Amtsgerichts dahingehend, dass familiengerichtliche Maßnahmen nicht veranlasst sind.

Die Voraussetzungen für familiengerichtliche Maßnahmen gemäß §§ 1666, 1666a BGB sind nicht gegeben.

§ 1666 Abs. 1 BGB setzt für ein Einschreiten der Familiengerichte bei Gefährdung des Kindeswohls voraus, dass das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Eine abstrakte Gefährdung reicht für ein familiengerichtliches Einschreiten nach dieser Vorschrift nicht aus. Vielmehr ist Voraussetzung für eine Kindeswohlgefährdung im Sinne von § 1666 Abs. 1 BGB, dass eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung abzusehen ist, die bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt. An den Grad der Wahrscheinlichkeit dieser Gefährdung sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und gewichtiger der drohende Schaden ist (Olzen in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage, § 1666 Rn. 50 m.w.N.). Für eine mit der Trennung des Kindes von den Eltern verbundene Sorgerechtsentziehung ist ein elterliches Fehlverhalten in einem solchen Ausmaß erforderlich, dass das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre. Erforderlich für die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes ist, dass bereits ein Schaden eingetreten ist oder sich eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (BVerfG NJW 2015, 23 ff. Rn. 23). Es ist nicht Zweck der gesetzlichen Regelung, die Ausfluss des staatlichen Wächteramts gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG ist, für eine bestmögliche Förderung des Kindes durch seine Eltern zu sorgen. Das Grundgesetz hat die primäre Entscheidungszuständigkeit von Eltern zur Förderung ihres Kindes anerkannt. Dabei wird auch in Kauf genommen, dass Kinder durch Entscheidungen der Eltern wirkliche oder vermeintliche Nachteile erleiden (BVerfG, FamRZ 2014, 907 ff . Rn. 18).

Nach diesen Maßstäben sind hier weder eine - teilweise - Sorgerechtsentziehung noch familiengerichtliche Maßnahmen in Form von Auflagen - Ge- und Verboten - gerechtfertigt. Eine gegenwärtige oder unmittelbar bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung, die bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls B... mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt, kann nicht angenommen werden.

Dass B... bislang weder eine öffentliche Schule noch eine staatlich anerkannte Ersatzschule besucht bzw. besucht hat und anzunehmen ist, dass er dies auch in Zukunft nicht tun wird, reicht allein für familiengerichtliche Maßnahmen nach § 1666 BGB nicht aus. Nach § 1666 Abs. 3 Nr. 2 BGB gehören zu den gerichtlichen Maßnahmen nach § 1666 Abs. 1 BGB zwar insbesondere Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen. Aber auch ein entsprechendes Gebot ist nur zulässig, wenn eine Kindeswohlgefährdung nach § 1666 Abs. 1 BGB vorliegt; dies kann hier nicht angenommen werden.

Nach den Ergebnissen der überzeugenden schriftlichen Gutachten der D... vom 22.03.2018 sowie der C... vom 13.09.2017,...

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