Verfahrensgang
AG Ahaus (Aktenzeichen 13 F 58/19) |
Tenor
I. Der Senat weist darauf hin, dass er beabsichtigt, von einer mündlichen Verhandlung nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG abzusehen.
II. Den Beschwerdeführern wird aufgegeben, binnen 3 Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses dem Senat mitzuteilen, ob sie bereit sind, außerhalb der Durchsetzung eines Schulbesuchs für eine zeitlich befristete Dauer von einem halben Jahr Jugendhilfemaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Die Beschwerdeführer mögen ergänzend mitteilen, ob sie - zumindest hilfsweise - die Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens zur erneuten Verhandlung und Entscheidung durch das Familiengericht beantragen.
III. Der Verfahrensbeiständin und der verfahrensbeteiligten Behörde wird aufgegeben, binnen 3 Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses ergänzend zu der derzeitigen Situation der Kinder zu berichten, insbesondere zu der Durchführung der von den Beschwerdeführern angekündigten Anbindung der Kinder in außerhalb ihrer Kirche angebotenen Freizeiteinrichtungen (Reiten, Orchester, Schach).
IV. Die Beteiligten erhalten Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme zu den Hinweisen des Senats binnen 3 Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
A. Der Senat beabsichtigt gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, weil eine ausführlich protokollierte Anhörung der Beteiligten und der Kinder bereits am 17.06.2019 im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Durchführung derzeit keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.
B. Die nach den § 57 Abs. 1 S. 2. Nr. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde der Kindeseltern dürfte nach vorläufiger Bewertung des Senats in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg haben.
I. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach - allerdings soweit ersichtlich im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Verfolgung der Eltern oder der verwaltungsrechtlichen Nichtzulassung einer eigenen Schule - festgestellt, dass die allgemeine Schulpflicht als geeignetes und erforderliches Instrument dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags dient (vgl. BVerfG FamRZ 2015, 27 ff; FamRZ 2006, 1094; NVwZ 2003, 1113 ff.). Dieser Auftrag richte sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit, sondern auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben. Soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung können effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind (vgl. BVerfG, a.a.O.). Die Schulpflicht stehe zudem in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewinn, den die Erfüllung dieser Pflicht für den staatlichen Erziehungsauftrag und die hinter ihm stehenden Gemeinwohlinteressen erwarten lassen. Die Allgemeinheit habe ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten "Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren. Integration setze dabei nicht nur voraus, dass die Mehrheit der Bevölkerung religiöse oder weltanschauliche Minderheiten nicht ausgrenzt; sie verlange auch, dass diese sich selbst nicht abgrenzen und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen nicht verschließen. Dies im Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu praktizieren sei eine wichtige Aufgabe der öffentlichen Schule, das Vorhandensein eines breiten Spektrums von Überzeugungen in einer Klassengemeinschaft könne die Fähigkeit aller Schüler zu Toleranz und Dialog als einer Grundvoraussetzung demokratischer Willensbildungsprozesse nachhaltig fördern (vgl. BVerfG, a.a.O.).
II. Unter Berufung auf die Verfassungsgemäßheit der Schulpflicht und die obigen Ausführungen hat der Bundesgerichtshof im Rahmen eines die Entziehung von Teilen des Sorgerechts betreffenden Verfahrens festgestellt, dass in der beharrlichen Weigerung von Eltern, ihre Kinder einer öffentlichen Schule oder einer anerkannten Ersatzschule zuzuführen, um ihnen statt dessen selbst "Hausunterricht" zu erteilen, ein Missbrauch der elterlichen Sorge liegen kann, der das Wohl der Kinder nachhaltig gefährdet und Maßnahmen des Familiengerichts nach §§ 1666, 1666a BGB erforderlich macht (vgl. BGH, FamRZ 2008, 45 Leitsatz). Damit hat der Bundesgerichtshof entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer jedenfalls nicht "per se" eine Kindeswohlgefährdung durch die Beschulung außerhalb einer öffentlichen Schule postuliert, auch wenn sich in der Begründung dieser Entscheidung keine näheren Ausführungen zu der konkreten Gefahr für die dort bet...