Leitsatz (amtlich)

›Zu den Voraussetzungen eines Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung, wenn der Verurteilte seine Einwilligung zurücknimmt, sich einer stationären Heilbehandlung seiner Drogenabhängigkeit zu unterziehen.‹

 

Gründe

Am 11. Juli 2000 verhängte das Amtsgericht - Schöffengericht - Essen gegen den Verurteilten eine zehnmonatige Gesamtfreiheitsstrafe wegen eines Diebstahlsversuchs und dreier vollendeter Diebstahlsdelikte. Durch Beschluss vom 7. Dezember 2000 führte das Amtsgericht Essen ferner im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 460 StPO die gegen den Verurteilten wegen diverser Delikte in zwei weiteren rechtskräftigen Erkenntnissen festgesetzten Einzelstrafen unter Auflösung der insoweit gebildeten Gesamtstrafen auf eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten zurück. Nachdem der Verurteilte mehr als zwei Drittel beider Gesamtfreiheitsstrafen verbüßt hatte, setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal die noch nicht erledigten Strafreste durch Beschluss vom 28. August 2001 zur Bewährung aus und erteilte dem Verurteilten zugleich - mit dessen Einwilligung - die Weisung, sich unmittelbar nach der Haftentlassung in die Essener Drogenhilfeeinrichtung "L" (= Langzeitübergangs- und Stützungsangebot) zu begeben und dort so lange zu bleiben, wie es die Einrichtung im Einvernehmen mit der Strafvollstreckungskammer für erforderlich halte.

Am 2. Oktober 2001 hat die Strafvollstreckungskammer die Strafaussetzungen zur Bewährung wegen eines Verstoßes gegen die Therapieweisung widerrufen. Die hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerden des Verurteilten sind begründet, da die in § 56f Abs. 1 Satz 1 StGB niedergelegten Voraussetzungen für einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung derzeit nicht vorliegen.

Allerdings hat der Verurteilte die im Anschluss an seine Haftentlassung vorgesehene Therapie in der Einrichtung "LÜSA" nicht angetreten. Insoweit vermag der Senat indes beim gegenwärtigen Sachstand die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Widerruf der Strafaussetzung wegen eines Weisungsverstoßes nicht festzustellen. Gemäß § 56c Abs. 3 StGB darf die Teilnahme an einer Heilbehandlung der hier vorgesehenen Art im Bewährungsbeschluss nur mit Einwilligung des Verurteilten richterlich angeordnet werden. Dieser Umstand schließt zwar einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung bei nachträglicher Missachtung einer einmal erteilten Therapieweisung nicht grundsätzlich aus (hierzu eingehend HansOLG Hamburg, NStZ 92, 301; vgl. ferner OLG Koblenz, Beschluss vom 30. März 1998, 1 Ws 164/89). Er macht jedoch im Einzelfall eine eingehende Prüfung der Frage erforderlich, ob die im Verstoß gegen die Therapieweisung zum Ausdruck gekommene Rücknahme der zunächst erteilten Einwilligung als "gröblich oder beharrlich" im Sinne von § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu gelten hat. Dies ist nicht der Fall, wenn der Verurteilte aus seiner Sicht die ursprünglich erteilte Einwilligung nachträglich aus verständlichen Gründen für verfehlt hält und er sich die Strafaussetzung nicht unter Vortäuschung seines Einverständnisses von vornherein erschlichen hat (BGHSt 36, 97).

Ein derartiger Sachverhalt ist hier gegeben. Nach den - durch eine schriftliche Erklärung der Eltern bestätigten - Angaben des seit langen Jahren schwerst drogenabhängigen und durch Therapieangebote mit straffem Anforderungsprofil bislang nicht erreichbaren Verurteilten hat er die Therapie in der Drogenhilfeeinrichtung "LÜSA" am Tag der Haftentlassung (3. September 2001) nicht angetreten, weil er bei seiner Ankunft vor Ort angesichts des Anblicks mehrerer Personen mit Drogen spontan von der Furcht vor einem Rückfall und von Zweifeln an der Eignung des gewählten Therapieangebots überwältigt worden sein will. Ausweislich der Vollstreckungsunterlagen hat der Verurteilte seine Entscheidung umgehend der Staatsanwaltschaft mitgeteilt und sich bereits am 4. September 2001 in eine Methadon-Substitutionsbehandlung begeben, die auf ambulanter Basis in den Rheinischen Kliniken Essen - unter medizinischer und psychosozialer Begleitbetreuung - durchgeführt wird und deren Verlauf die behandelnden Ärzte bislang - mit den bei Therapien dieser Art offenbar suchtmedizinisch üblichen Einschränkungen im Hinblick auf die Problematik des Beikonsums - positiv beurteilen. Angesichts dieser Umstände ist der Verstoß des Verurteilten gegen die ihm ursprünglich erteilte Therapieweisung nicht "gröblich" oder "beharrlich", denn der - im Rahmen seiner Möglichkeiten grundsätzlich offenbar therapiewillige - Verurteilte hat für die nachträgliche Rücknahme seiner Einwilligung mit einer Behandlung in der Einrichtung "LÜSA" eine aus seiner subjektiven Sicht verständliche Erklärung geliefert, die vor dem Hintergrund seiner suchtbeeinflussten Persönlichkeitsstruktur und seines Verhaltens im übrigen nachvollziehbar erscheint und nicht offensichtlich vorgeschobenen Charakter trägt. Die Abkehr von der ursprünglich vorgesehenen Therapieform vermag fü...

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