Leitsatz (amtlich)
Zur Zurückstellung der Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, wenn die positive Entwicklung des Verurteilten es rechtfertigt, zum Zeitpunkt der Entscheidung trotz einschlägigen Rückfalltaten von einer positiven Legal- und Sozialprognose auszugehen, welche einen Widerruf der Strafaussetzung zu dem Zeitpunkt nicht rechtfertigt.
Verfahrensgang
LG Dortmund (Entscheidung vom 19.12.2011; Aktenzeichen 47 Ns 92/11) |
AG Unna (Entscheidung vom 21.06.2011; Aktenzeichen 103 Ls-242 Js 481/11-63/11) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung der Reststrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Unna vom 20.01.2010 wird für die Dauer der Zurückstellung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Unna vom 21.06.2011 (103 Ls-242 Js 481/11-63/11) in der Fassung des Urteils des Landgerichts Dortmund vom 19.12.2011 (47 Ns 92/11) zurückgestellt.
Gründe
I.
Der mehrfach vorbestrafte Verurteilte wurde mit Urteil des Amtsgerichts Unna vom 20.01.2010 (101 Ds 295/09) wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Nach Verbüßung von 2/3 der Strafe ist die Vollstreckung des Strafrests mit Beschluss des Landgerichts Dortmund -Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Hamm- vom 01.12.2010, rechtskräftig seit dem 03.12.2010, zur Bewährung ausgesetzt und die Bewährungszeit auf drei Jahre festgesetzt worden.
Mit Urteil des Amtsgerichts Unna vom 21.06.2011 wurde der Verurteilte wegen Erschleichens von Leistungen in drei Fällen, Beleidigung in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung und Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt. Die Taten beging der Verurteilte im Zeitraum 14.01.2011 bis 31.01.2011. Die gegen das Urteil eingelegte, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, Berufung des Verurteilten wurde durch Urteil des Landgerichts Dortmund vom 19.12.2011 mit der Maßgabe verworfen, dass dieses die Voraussetzungen des § 35 BtMG für gegeben erachtete. Die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe ist derzeit gem. § 35 BtMG zurückgestellt. Der Verurteilte befindet sich nach Entzugsbehandlung seit dem 15.05.2012 im Zentrum für Drogentherapie Ostberger Str. 17 in Dortmund, nachdem er zuvor eine am 12.03.2012 in der Salusklinik begonnene Therapie am 18.03.2012 abgebrochen hatte.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund bei dem Amtsgericht Hamm nach schriftlicher Anhörung des Verurteilten die Aussetzung der Reststrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Unna vom 20.01.2010 widerrufen und zur Begründung im Wesentlichen auf die Nachverurteilung verwiesen. Die Zurückstellung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Unna vom 21.06.2011 gem. § 35 BtMG spreche nicht gegen den Widerruf, da der Verurteilte die zunächst begonnene Therapie abgebrochen und der Erfolg der -seinerzeit noch geplanten- Therapie in der Therapieeinrichtung Ostberge ungewiss sei. Im Fall des rechtskräftigen Widerrufs der Reststrafe stehe es dem Verurteilten indes frei, auch auf Zurückstellung der Strafe aus dem Urteil vom 20.01.2010 gem. § 35 BtMG anzutragen. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf den Beschluss vom 03.05.2012.
Gegen diesen, dem Verurteilten am 09.05.2012 zugestellten Beschluss richtet sich seine durch seine Verteidigerin eingelegte sofortige Beschwerde vom 10.05.2012, eingegangen beim Amtsgericht Hamm am 13.05.2012, mit der er die Zurückstellung der Strafe gem. § 35 BtMG beantragt.
Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm beantragt unter Hinweis auf die kriminelle Vergangenheit des Verurteilten und eine nicht aufgearbeitete Gewaltproblematik,
die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 18.06.2012, welche dem Verurteilten bzw. seiner Verteidigerin mit Gelegenheit zur Stellungnahme zur Kenntnis gebracht worden ist, wird Bezug genommen.
II.
Die gemäß §§ 453 Abs. 2 S. 3, 311 StPO statthafte und form- und fristgemäß eingelegte sofortige Beschwerde des Verurteilten hat in der Sache vorläufigen Erfolg.
Zwar liegen die Voraussetzungen für einen Widerruf der Strafaussetzung gem. § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB aufgrund der unmittelbar in Anschluss an die Strafaussetzung begangenen einschlägigen Straftaten des Verurteilten unzweifelhaft vor, wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend erkannt hat. Der Widerruf der Strafaussetzung kommt jedoch nicht in Betracht, wenn mildere Mittel gem. § 56f Abs. 2 StGB ausreichend sind. Hiermit setzt sich die Strafvollstreckungskammer nicht hinreichend auseinander. Das wäre aber vorliegend erforderlich gewesen, weil es nahe lag, dem Verurteilten entweder eine Therapieweisung zur Fortsetzung der begonnenen Langzeitentwöhnungsbehandlung zu erteilen oder aber jedenfalls vom Widerruf zum jetzigen Zeitpunkt abzusehen.
Nach allgemeiner Ansicht müssen einschlägige Rückfalltaten Drogen- oder Alkoholabhängiger ein...