Leitsatz (amtlich)
Die unterbliebene Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB kann vom Rechtsmittelangriff ausgenommen werden, wenn eine derartige Beschränkung nicht nach allgemeinen Grundsätzen wegen enger Verknüpfung einer möglichen Maßregelanordnung mit dem sonstigen Inhalt des angefochtenen Urteils ausgeschlossen ist (offen gelassen: BGH NStZ-RR 2003, 18).
Verfahrensgang
LG Wuppertal (Entscheidung vom 09.10.2006; Aktenzeichen 23 Ns 39/06) |
Tenor
Der angefochtene Unterbringungsbefehl wird aufgehoben.
Der Angeklagte ist auf die hiermit getroffene Anordnung des mitunterzeichnenden Vorsitzenden in dieser Sache aus der einstweiligen Unterbringung zu entlassen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Mettmann - Jugendschöffengericht - hat den Angeklagten am 22. Februar 2006 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte - zunächst unbeschränkt - Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 23. Mai 2006 hat der Angeklagte die Berufung durch folgende Erklärung beschränkt:
"Die von dem Amtsgericht nicht angeordnete Maßregel der Unterbringung in der Psychiatrie gemäß § 63 StGB ist von dem Berufungsangriff ausgenommen. Die Anordnung dieser Maßregel soll im weiteren Verfahren nicht mehr erfolgen."
Die Jugendkammer hat nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens die einstweilige Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der vorliegenden Beschwerde.
II.
Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Der nach § 126a StPO erlassene Unterbringungsbefehl ist bereits deshalb aufzuheben, weil aufgrund der Beschränkung der Berufung des Angeklagten seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht angeordnet werden kann.
Denn der Angeklagte hat die Nichtanwendung der Maßregel gemäß § 63 StGB nach Aktenlage wirksam vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
Nach dem Rechtsmittelsystem der Strafprozessordnung hat der Angeklagte bei der Entscheidung, ob und inwieweit er ein gegen ihn ergangenes Urteil angreifen will, eine weitreichende Dispositionsbefugnis. Die Berufung kann auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden (§ 318 Satz 1 StPO). Eine Beschränkung der Berufung ist zulässig, wenn die Beschwerdepunkte nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angefochtenen Teil rechtlich und tatsächlich unabhängig beurteilt werden können. Es muss gewährleistet sein, dass die Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleiben kann (vgl. zur Revision: BGH NStZ 1993, 448, 449; NStZ 1995, 493).
Unter Beachtung dieser Grundsätze kann auch die unterbliebene Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) vom Rechtsmittelangriff ausgenommen werden. Es ist nicht systemwidrig, wenn der Angeklagte dem Rechtsmittelgericht die Prüfung der Frage, ob die Maßregel der Unterbringung zu Recht nicht angeordnet wurde, entzieht (vgl. zu § 64 StGB: BGH NStZ 1993, 97). Ohne diese Beschränkungsmöglichkeit wäre zu besorgen, dass sich ein Angeklagter von der Einlegung eines Rechtsmittels abhalten lässt, weil er - da das Verbot der Schlechterstellung Unterbringungsmaßnahmen nach den §§ 63, 64 StGB nicht entgegensteht (§ 331 Abs. 2 StPO) - die Anordnung einer solchen Maßregel auf sein Rechtsmittel hin befürchten muss (vgl. BGH NStZ 1992, 539). Die Ausnahmeregelung des § 331 Abs. 2 StPO soll ihrem Zweck nach die Dispositionsbefugnis des Rechtsmittelgerichts erweitern, nicht dagegen die Anfechtungsmöglichkeiten beschränken.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die vorliegend bejahte Frage, ob die unterbliebene Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB überhaupt vom Rechtsmittelangriff ausgenommen werden kann, ausdrücklich offen gelassen (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 18). In jenem Fall war eine derartige Beschränkung wegen der engen Verknüpfung von Schuldspruch und möglicher Maßregelanordnung bereits nach allgemeinen Grundsätzen unwirksam, weil das Vorliegen verminderter Schuldfähigkeit nicht rechtsfehlerfrei begründet worden war und das Vorliegen von Schuldunfähigkeit nicht auszuschließen war. Auch in der jüngsten Entscheidung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs zum Ausklammern der Maßregel nach § 63 StGB vom Rechtsmittelangriff (nur zum Teil abgedruckt bei Becker: NStZ-RR 2006, 5) wurde eine solche Beschränkung lediglich einzelfallbezogen aus Gründen enger Verknüpfung - hier zwischen Maßregelanordnung und den (aufgehobenen) Feststellungen zum Strafausspruch - für unwirksam erachtet.
Im vorliegenden Fall besteht keine enge Verknüpfung zwischen der in erster Instanz unterbliebenen Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB und dem sonstigen Inhalt des angefochtenen Urteils. Das Jugendschöffengericht hat sich nämlich mit der Frage der Schuldfähigkeit überhaupt nicht befasst und hat dazu auch keine Feststellungen getroffen....