Leitsatz (amtlich)

1. Ein einzelnes Mitglied einer Bietergemeinschaft ist antragsbefugt, wenn die Bietergemeinschaft ihm eine unbeschränkte Vertretungsmacht erteilt hat.

2. Vergabereife ist vom Auftraggeber in jedem Vergabeverfahren vor der Ausschreibung herzustellen, gleichviel, welchem Rechtsregime das Verfahren unterliegt (hier Sektorenauftragsvergabe).

3. Zur Vergabereife zählen eine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung, aber auch, dass die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für einen fristgemäßen Beginn der Ausführung vom Auftraggeber geschaffen worden sind (hier: sofort vollziehbarer Planfeststellungsbeschluss).

4. Der Auftraggeber ist befugt, das Vergabeverfahren bei Vorliegen eines sachlichen Grundes, erst recht eines Aufhebungsgrundes, in einen früheren Stand zurückzuversetzen, sofern er dabei transparent und diskriminierungsfrei vorgeht (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 26.9.2006 - X ZB 14/06).

5. Auch im Anwendungsbereich des § 19 Abs. 3 SektVO können Erklärungen oder Nachweise vom Auftraggeber nur nachgefordert werden, wenn sie körperlich nicht vorgelegt worden sind (oder allenfalls Wirksamkeitsmängel vorliegen).

6. Soll der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot ergehen und legt der Auftraggeber als Unterkriterien zu 95 % den Preis und zu 5 % die Terminplanung fest, ist der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz des § 97 Abs. 5 GWB und die Selbstbindung des Auftraggebers an das in der Bekanntmachung angegebene Zuschlagskriterium verletzt.

 

Verfahrensgang

BKartA (Beschluss vom 19.07.2013; Aktenzeichen VK 1 - 54/13)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 19.7.2013 (VK 1-54/13) aufgehoben.

Den Antragsgegnerinnen wird untersagt, im Vergabeverfahren "dreigleisiger Ausbau der Bahnstrecke Freilassing - Salzburg, Strecke 5703 km 81,19 bis 82,9" einen Zuschlag zu erteilen.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer werden zur Hälfte den Antragstellerinnen als Gesamtschuldnern, zur weiteren Hälfte der Antragstellerin auferlegt.

Die Kosten des Verfahrens nach § 115 Abs. 2 GWB haben die Antragsgegnerinnen als Gesamtschuldner zu tragen.

Die der Antragstellerin und den Antragsgegnerinnen im Verfahren vor der Vergabekammer entstandenen Aufwendungen werden gegeneinander aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB werden gegeneinander aufgehoben.

Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis Euro

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerinnen lassen durch die der Deutschen Bahn angehörige Vergabestelle aufgrund unionsweiter Bekanntmachung vom März 2013 ein offenes Verfahren zur Vergabe des aus zahlreichen Bauleistungen bestehenden dreigleisigen Ausbaus der Bahnstrecke Freilassing - Salzburg durchführen, und zwar eines Teilstücks zwischen Kilometern 81,9 und 82,9. Der Planfeststellungsbeschluss nach § 18 AEG ist am 9.4.2013 durch das Eisenbahn-Bundesamt ergangen und sofort vollziehbar. Die Antragstellerin (eine aus zwei Gesellschaftern bestehende Bietergemeinschaft) die Beigeladene sowie weitere Bieter reichten Angebote ein. Dem Angebot der Antragstellerin liegt der Bietergemeinschaftsvertrag vom 19.4.2013 zugrunde, der in § 2 (Geschäftsführung und Vertretung) vorsieht:

1.1 Die BG wird gegenüber dem Auftraggeber und gegenüber Dritten durch den Gesellschafter M. A. Bau vertreten, dem auch geschäftsführend die Bearbeitung und Verfolgung des Angebots obliegt. Die übrigen Gesellschafter sind zur Mitwirkung berechtigt und verpflichtet.

1.2 Die verbindliche Angebotsabgabe bedarf der vorherigen Zustimmung aller Gesellschafter. Ebenso jede nachträgliche Änderung oder Ergänzung des Angebots, sofern es sich nicht lediglich um unwesentliche technische oder wirtschaftliche Details handelt.

Mit Schreiben vom 7.5.2013 teilte die Vergabestelle der Antragstellerin mit, dass ihrem Angebot geforderte Nachweise/Erklärungen teils nicht beilägen, teils unvollständig seien. Auch die übrigen Angebote seien nicht wertbar. Infolgedessen sei beabsichtigt, das Vergabeverfahren mit den beteiligten Bietern fortzusetzen und ihnen Gelegenheit zu geben, in einem weiteren "Angebotslauf" ein neues Angebot abzugeben. Durch Schreiben vom 8.5.2013 und Angebotsaufforderung vom selben Tag wurde so verfahren. Gemäß der Angebotsaufforderung soll der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot ergehen. Als Kriterien dafür waren angegeben der Preis (Angebotsendsumme) mit einer Gewichtung von 95 % und die Terminplanung mit einem Gewicht von 5 %. Nebenangebote waren zugelassen.

Die Antragstellerin beteiligte sich an der neuen Angebotsrunde mit einem Haupt- und einem Nebenangebot. Auch die Beigeladene reichte ein Haupt- und ein Nebenangebot ein. Ein weiterer Bieter gab ein Haupt- und mehrere Nebenangebote ab. Bei der Angebotswertung kam erstmals das Hauptangebot der Beigeladenen auf den ersten Rang. Es ist etwa sieben Prozent preiswerter als ihr erstes Hauptangebot und knapp fünf Prozent preiswerter als das nächsthöhere Angebot d...

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