Leitsatz (amtlich)
Beruft der Erblasser seinen einzigen Abkömmling zum nicht befreiten Vorerben und seine einzige Enkelin zur Nacherbin, so ist im Allgemeinen die Vererblichkeit der Nacherbenstellung in Anwendung von § 2108 Abs. 2 BGB auf Familienangehörige des Erblassers beschränkt. Das gilt umso mehr, wenn der einzigen Urenkelin überdies ein lebenslanges Wohnrecht vermacht ist.
Normenkette
BGB § 2108 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Duisburg-Ruhrort (Aktenzeichen 130 VI 691/22) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Beteiligten wird der Beschluss des Amtsgerichts (Nachlassgericht) Duisburg-Ruhrort vom 17. August 2023 aufgehoben und das Amtsgericht angewiesen, über den Erbscheinantrag der Beteiligten vom 15. Juli 2022 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligte ist die Urenkelin der Erblasserin. Sie ist ebenso wie ihre Mutter Heidemarie K... von der Erblasserin testamentarisch bedacht worden. In dem notariell beurkundeten Testament vom 4. September 1974 heißt es, soweit vorliegend von Interesse:
"Meine einzige Tochter, Frau Ilse N..., ..., soll meine alleinige Erbin sein. Insbesondere soll sie mein Hausgrundstück Duisburg-Meiderich, ... erben.
Sie soll Vorerbin sein ohne Befreiung von den Beschränkungen der Vorschrift des § 2113 BGB.
Nacherbe soll meine einzige Enkeltochter, Frau Heidemarie K... ... sein.
Als Vermächtnis sollen meine Enkelin Frau Heidemarie K... 20.000,- DM und deren Tochter ... (lies: die Beteiligte), meine einzige Urenkelin, ebenfalls 20.000,- DM erhalten, und zwar innerhalb eines Jahres nach meinem Tode.
Außerdem sollen Frau Heidemarie K... und ... (lies: die Beteiligte) ein lebenslängliches Wohnrecht in dem Haus Duisburg-Meiderich, ... erhalten, und zwar gemeinsam an der Wohnung in der 2. Etage links, ..."
Die zur Vorerbin berufene Tochter der Erblasserin (und Großmutter der Beteiligten) ist am 16. Februar 2022 verstorben, Frau Heidemarie K... am 19. Dezember 2008.
Die Beteiligte begehrt die Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin der Erblasserin ausweist. Sie ist der Ansicht, nach der Auslegungsregel des § 2069 BGB anstelle ihrer Mutter Nacherbin der Erblasserin geworden zu sein.
Das Amtsgericht hat den Erbscheinantrag zurückgewiesen. Es hat angenommen, dass die Nacherbenstellung aufgrund der nicht ausgeräumten Auslegungsregel des § 2108 Abs. 2 BGB vererblich sei und demzufolge auf den von Heidemarie K... mit handschriftlichem Testament vom 3. Mai 2004 zum Alleinerben berufenen Roland S..., ihrem Lebensgefährten, übergegangen sei. Dieser hat erklärt, keine Einwände gegen den beantragten Erbschein zu erheben.
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Beteiligte ihren Erbscheinantrag weiter. Sie ist der Auffassung, dass die Regel des § 2108 Abs. 2 BGB widerlegt sei. Es sei weder der wirkliche noch der mutmaßliche Wille der Erblasserin gewesen, dass ihr Vermögen an einen familienfremden Dritten gehe und zu einem erheblichen Teil für die Begleichung der anfallenden Erbschaftssteuer verbraucht werde.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Nachlassakten 130 VI 691/22 und 130 VI 690/22 sowie der Testamentsakte 130 IV 212/74, jeweils AG Duisburg-Ruhrort, Bezug genommen.
II. Die Beschwerde der Beteiligten hat in dem tenorierten Umfang Erfolg.
Die von der Erblasserin angeordnete Nacherbenstellung ist vererblich. Die Vererblichkeit beschränkt sich allerdings auf den Kreis der Familienangehörigen der Erblasserin. Das führt im Entscheidungsfall zu dem Ergebnis, dass die letztwillige Verfügung der Heidemarie K... in Bezug auf ihre eigene Nacherbenstellung nach der Erblasserin ins Leere geht und der Erbscheinantrag der Beteiligten nicht mit dem Argument versagt werden kann, testamentarisch berufener Nacherbe sei Roland S...
Im Einzelnen:
1. Die Beteiligte stützt ihren Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin der Erblasserin ausweist, plausibel auf § 2069 BGB.
Nach der genannten Vorschrift ist dann, wenn der Erblasser einen seiner Abkömmlinge bedacht hat und dieser nach der Errichtung des Testaments wegfällt, im Zweifel anzunehmen, dass dessen Abkömmlinge insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden.
Im Entscheidungsfall führt dieser Grundsatz nach dem vorgetragenen Sach- und Streitstand zu dem Ergebnis, dass die Beteiligte Alleinerbin der Erblasserin, ihrer Urgroßmutter, geworden ist. Die Erblasserin hat ihre einzige Tochter zur Vorerbin und die einzige Enkelin zur Nacherbin berufen. Nachdem der Nacherbfall durch den Tod der Vorerbin am 16. Februar 2022 eingetreten ist, wäre testamentarisch die Mutter der Beteiligten als Nacherbin berufen. Diese ist allerdings zwischen Testamentserrichtung und Nacherbfall Ende 2008 verstorben. An ihre Stelle träte der Auslegungsregel des § 2069 BGB folgend die Beteiligte als einzige gesetz...