Leitsatz (amtlich)
Nicht jede sexualbezogene Handlung, durch die der Täter die Personenwürde des Opfers verletzt, stellt eine Beleidigung dar (hier: Zum Verhalten eines Mannes, der eine Frau auf der Toilette einer Gaststätte kurze Zeit durch den Freiraum unter der Kabinentür beobachtet).
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Angeklagten durch das angefochtene Urteil wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 70 DM verurteilt.
Die hiergegen gerichtete (Sprung-) Revision des Angeklagten hat mit der allgemeinen Sachrüge (vorläufigen) Erfolg. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht.
1.
Es erscheint bereits zweifelhaft, ob das Verhalten des Angeklagten den objektiven Tatbestand des § 185 StGB erfüllt.
a)
Nach dem festgestellten Sachverhalt ist der Angeklagte am 19. Mai 2000 in der in Oberhausen gelegenen Pizzeria D der Zeugin D S auf ihrem Weg zur Damentoilette gefolgt. Als der Angeklagte die Damentoilettenräume betrat, befand sich die Zeugin S bereits in der hinteren Kabine, die sie verschlossen hatte, um ihr "Geschäft" zu verrichten. Der Angeklagte legte sich auf den Boden und schaute unter dem ca. 14 cm hohen Freiraum unter der Kabinentür hindurch, so dass er die Zeugin erkennen konnte. Dabei handelte es sich nach Angaben der Zeugin S "nur um einen flüchtigen Augenblick", dessen Dauer sie auf etwa 10 Sekunden schätzte. Sie stand in der Kabine mit heruntergezogener Hose. Die Zeugin bemerkte zunächst die Haare des Angeklagten und sodann sein Gesicht. Sie sah, dass der Angeklagte sie anguckte bzw. - wie das Amtsgericht bei der rechtlichen Bewertung des Tatverhaltens ausgeführt hat - sie durch den Freiraum "anstarrte". Die Zeugin war durch das Verhalten des Angeklagten erschrocken und beleidigt.
b)
§ 185 StGB stellt die "Beleidigung" unter Strafe, ohne das die Strafbarkeit begründende Verhalten näher zu umschreiben. Schutz- und Angriffsobjekt des § 185 StGB ist die Ehre. Sie ist als der auf die Personenwürde gegründete innere Wert des Menschen zu verstehen (BGHSt 11, 67, 70 f). Die Ehre ist allerdings lediglich ein Aspekt der Personenwürde, nicht identisch mit ihr und dem Bereich, den das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst. Ein Angriff auf die Ehre wird geführt, wenn der Täter einem anderen zu Unrecht Mängel nachsagt, die, wenn sie vorlägen, den Geltungswert des Betroffenen mindern würden. Nur durch eine solche "Nachrede" (die ein herabsetzendes Werturteil oder eine ehrenrührige Tatsachenbehauptung sein kann), wird der aus der Ehre fließende verdiente Achtungsanspruch verletzt. Sie stellt die Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung dar, die nach der Rechtsprechung den Tatbestand verwirklicht. Das Rechtsgut der Ehre darf nicht mit der Personenwürde oder der (ideellen) Persönlichkeitssphäre gleichgesetzt werden. § 185 StGB ist insbesondere kein "Auffangtatbestand", der es erlaubt, Handlungen allein deshalb zu bestrafen, weil sie der Tatbestandsverwirklichung eines Sittlichkeitsdelikts nahekommen (BGHSt 36, 145, 148 f = NJW 1989, 3028 f).
Das 4. Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 23. November 1973 (StRG; BGBL I 1725) hat infolge der gewandelten Auffassung über die Strafwürdigkeit sexueller Verhaltensweisen und neuer Erkenntnisse über die Sozialschädlichkeit solcher Handlungen die Grenze zwischen strafbarem Verhalten und straffreiem Tun - nicht nur bei Delikten gegen Jugendliche - neu gezogen. Die Ausgestaltung der einzelnen Tatbestände im 4. StRG führt, worauf im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich hingewiesen worden ist, "zu einer Entlastung des Beleidigungsstrafrechts und damit auch zu einer rechtsstaatlichen Präzisierung der Tatbestandsumschreibung" (vgl. 58. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform in der 6. Wahlperiode, Prot. S. 1771, 1787 und 6. Sitzung in der 7. Wahlperiode, Prot. S. 85: "Gesunde Tendenz, die bisherige "Lückenbüßerfunktion" des § 185 StGB zu beschränken").
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hält auf der Grundlage der Neuregelung eine Bestrafung wegen Beleidigung bei sexuellen Handlungen (an oder vor einem Jugendlichen), die den Tatbestand eines Sexualdelikts nicht erfüllen, dann für möglich, wenn das Verhalten des Täters wegen der besonderen Umstände des Einzelfalles über die sonst mit der sexuellen Handlung regelmäßig verbundene Beeinträchtigung hinaus einen Angriff auf die Geschlechtsehre enthält (BGH NStZ 1986, 453, 454). Nach Auffassung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofes ist der Tatbestand des § 185 StGB nur dann erfüllt, wenn der Täter durch sein Verhalten (die sexuelle Handlung) zum Ausdruck bringt, der Betroffene weise einen seine Ehre mindernden Mangel auf. Eine solche Kundgabe ist in der sexuellen Handlung allein regelmäßig nicht zu sehen und erfüllt deshalb auch nicht ...