Entscheidungsstichwort (Thema)
Verzinsung einer Geldbuße verfassungswidrig
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; GWB § 81 Abs. 6
Tenor
1. Das Verfahren wird dem Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 und 2 BVerfGG zur Entscheidung über folgende Fragen vorgelegt:
Ist § 81 Abs. 6 GWB mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, soweit
- § 81 Abs. 6 GWB ausschließlich die gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung festgesetzte Geldbuße der Zinspflicht unterwirft, demgegenüber aber die gegen einen einzelkaufmännischen Unternehmensträger verhängte Geldbuße nicht verzinsungspflichtig ist und ebenso die Geldbuße zinsfrei bleibt, die gegen den Betroffenen als kartellrechtswidrig Handelnden festgesetzt wird;
- § 81 Abs. 6 GWB ferner nur den Kartellbußgeldschuldner einer Pflicht zur Verzinsung seiner Geldbuße unterwirft, die Schuldner aller anderen Geldbußen (z.B. aus dem Umweltrecht, dem Straßenverkehrsrecht, dem Datenschutzrecht etc.) dagegen keine Zinsen schulden, wenn sie den verhängten Bußgeldbetrag nicht zeitnah nach Erlass des Bußgeldbescheids zahlen;
- § 81 Abs. 6 GWB schließlich nur die in einem kartellbehördlichen Bußgeldbescheid festgesetzte Geldbuße der Verzinsung unterwirft und der Schuldner eines kartellgerichtlich verhängten Bußgeldes sein Bußgeld demgegenüber nicht zu verzinsen hat und die erzielten Zinsvorteile behalten darf.
2. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt.
Gründe
I.
Das Bundeskartellamt hat gegen die Antragstellerin mit Bescheid vom 17. März 2005 ein zwischenzeitlich rechtskräftiges Bußgeld in Höhe von .. Mio. € festgesetzt. Der Bußgeldbescheid ist der Antragstellerin am 23. März 2005 zugestellt worden. Am 30. Juli 2009 hat die Antragstellerin die verhängte Geldbuße bezahlt, nachdem sie zuvor ihren Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurückgenommen hatte.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Bundeskartellamt die Antragstellerin gemäß § 81 Abs. 6 GWB i.V.m. §§ 247, 288 Abs. 1 BGB zur Zahlung eines Zinsbetrages von … € - durch Berichtigungsbeschluss vom 28. April 2011 geringfügig reduziert auf … € - aufgefordert.
Im vorliegenden Verfahren wendet sich die Antragstellerin gemäß § 103 Abs. 1 Nr. 3 OWiG gegen diese Zinsfestsetzung. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 81 Abs. 6 GWB geltend. Sie beruft sich dabei insbesondere auf einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 3 Abs. 1 GG.
Mit Beschluss vom 20. Mai 2011 hat der Senat gemäß § 103 Abs. 2 Satz 2 OWiG antragsgemäß die Vollstreckung aus dem Zinsfestsetzungsbeschluss ausgesetzt, weil § 81 Abs. 6 GWB wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig sei.
Im - noch anhängigen - Hauptsacheverfahren beantragt die Antragstellerin sinngemäß,
den Beschluss des Bundeskartellamts vom 11. März 2011 - in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 28.04.2011 - aufzuheben.
Das Bundeskartellamt beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Es verteidigt den angefochtenen Beschluss und tritt den Ausführungen der Antragstellerin im Einzelnen entgegen.
Unter den Aktenzeichen V - 1 Kart 2 - 14/11 (OWi) sind beim Senat parallel gelagerte Verfahren anhängig, in denen das Bundeskartellamt gegen weitere Industrieversicherer in Anwendung des § 81 Abs. 6 GWB Zinsbeträge festgesetzt hat. Auch in diesen Verfahren hat der Senat - soweit beantragt - die Vollstreckung nach § 103 Abs. 2 Satz 2 OWiG ausgesetzt. Im Hinblick auf den im hiesigen Verfahren erlassenen Vorlagebeschluss hat er überdies auch jene Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt.
II.
Die Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht sind gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 1 und 2 BVerfGG geboten, weil der Senat § 81 Abs. 6 GWB für mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar hält.
A. Die Vorlage der Sache ist geboten, weil § 81 Abs. 6 GWB nach der Überzeugung des Senats verfassungswidrig ist.
1. § 81 Abs. 6 GWB ordnet selbst und unmittelbar die Verzinsung von Kartellgeldbußen nach Grund und Höhe an. Das folgt bereits unmissverständlich aus dem Wortlaut der Norm. Die Einführung einer gesetzlichen Zinspflicht entsprach überdies dem erklärten Willen des Gesetzgebers. Im Regierungsentwurf der Bundesregierung vom 26. Mai 2004 (BT-Drucksache 15/3640, WuW-Sonderheft zur 7. GWB-Novelle S. 147 und S. 197) heißt es dazu:
"Um zu verhindern, dass Unternehmen allein zur Erlangung eines Zinsvorteils Einsprüche einlegen oder auf andere Weise die Vollstreckbarkeit von Bußgeldbescheiden verzögern, wird eine Zinspflichteingeführt.
…….
Um dieser Gefahr entgegenzuwirken,wird angeordnet, dass die Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungenzu verzinsen sind, wobei ..…. (Unterstreichungen hinzugefügt)."
Es handelt sich um zwingendes Recht ohne irgendeinen Entscheidungsspielraum der Kartellbehörde.
a) Der gesetzlich angeordneten Verzinsung unterliegen allerdings ausschließlich Kartellbußgelder. Für alle anderen...