Verfahrensgang

LG Wuppertal (Entscheidung vom 12.02.2002; Aktenzeichen 1 StVK 694/01)

 

Gründe

Am 7. Februar 2000 verhängte das Amtsgericht - Schöffengericht - Leverkusen gegen den Verurteilten wegen "tatmehrheitlich im Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangenen Diebstahls im besonders schweren Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in 10 Fällen, davon in einem Fall versuchter Diebstahl, Diebstahls in 11 Fällen, unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit zu vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, Betruges in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Köln vom 16.12.1999 - 708 Ds 430/99 - " eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung die 5. kleine Strafkammer des Landgerichts Köln in zweiter Instanz am 24. Mai 2000 auf drei Jahre zur Bewährung aussetzte. Durch Beschluss vom 12. Februar 2002 hat die Strafvollstreckungskammer die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen und - zugleich - die öffentliche Zustellung der Widerrufsentscheidung angeordnet. Der Beschluss ist im Zeitraum 18. Februar 2002 bis 19. März 2002 an der Gerichtstafel des Landgerichts Wuppertal angeheftet gewesen.

Mit seiner am 24. Juni 2002 bei Gericht eingegangenen Schrift vom 21. Juni 2002 wendet sich der am 10. Februar 2002 in Münster festgenommene und seit dem Folgetag aufgrund eines Haftbefehls in anderer Sache in der JVA Münster inhaftierte Verurteilte mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen die Widerrufsentscheidung und beantragt "vorsorglich" die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist. Beide Rechtsmittel sind als unzulässig zu verwerfen.

I.

Die sofortige Beschwerde ist verspätet, denn sie ging außerhalb der gemäß § 311 Abs. 2 StPO einwöchigen Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei Gericht ein. Die für den Fristbeginn maßgebliche Bekanntmachung der Widerrufsentscheidung war im vorliegenden Fall durch öffentliche Zustellung bewirkt worden und galt daher nach zweiwöchigem Aushang an der Gerichtstafel (vgl. hierzu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Auflage, § 40 Rn. 7; Löwe-Rosenberg-Wendisch, StPO, 25. Auflage, § 40 Rn. 18) am 4. März 2002 als erfolgt (§ 40 Abs. 1 StPO).

Die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung des Widerrufsbeschlusses wegen unbekannten Aufenthalts des Verurteilten lagen zur Zeit der gerichtlichen Anordnung am 12. Februar 2002 vor, da die nach den Umständen zumutbaren Aufenthaltsermittlungsmaßnahmen der Strafvollstreckungskammer ohne Erfolg geblieben waren. Ausweislich eines Berichts des Bewährungshelfers vom 30. Oktober 2001 hatte der Verurteilte die nach seinem Therapieaufenthalt im September getroffenen Absprachen zur Kontakthaltung nicht eingehalten und war unter Abkehr von seiner ursprünglichen Zusage nicht bei seiner Mutter in W., sondern bei einer Freundin in D. aufhältig, deren Namen und Anschrift er indes nicht preisgeben wollte. Die im Parallelverfahren 1 StVK 472/01 durch die Strafvollstreckungskammer veranlassten Ermittlungen der W. Polizei ergaben im Januar 2002, dass der Verurteilte unter seiner alten Anschrift in W. bereits seit dem 25. Juni 2001 abgemeldet und nach den Angaben seiner Mutter nicht bei ihr, sondern nach wie vor in D., dort allerdings nicht mehr bei seiner Freundin aufhältig sei. Angesichts dieser Erkenntnisse kamen für das zur Entscheidung berufene Gericht zur Zeit der Zustellungsanordnung weitere erfolgversprechende Nachforschungsmöglichkeiten nicht mehr in Betracht. Insbesondere bestand aufgrund der vorliegenden Informationen kein Anlass für Aufenthaltsermittlungsmaßnahmen außerhalb der Städte W. und D..

Durch den zweiwöchigen Aushang des zuzustellenden Schriftstücks an der Gerichtstafel der für die Widerrufsentscheidung erstinstanzlich zuständigen Strafvollstreckungskammer (vgl. §§ 453, 462a Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 3 StPO) ist die öffentliche Zustellung ordnungsgemäß bewirkt worden. Der Begriff "Gericht des ersten Rechtszuges" im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 StPO ist nach Ansicht des Senats bei Vollstreckungssachen nicht im Rückgriff auf das - rechtskräftig abgeschlossene - Erkenntnisverfahren zu sehen, sondern knüpft angesichts der rechtlich verselbständigten Ausgestaltung des Vollstreckungsverfahrens an dessen eigenen Instanzenzug an (ebenso OLG Düsseldorf JMBl NW 98, 213; OLG Karlsruhe MDR 81, 159f.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO, § 40 Rn. 7; Löwe-Rosenberg-Wendisch, aaO, § 40 Rn. 17; a.A. OLG Hamm JMBl NW 97, 80f. und Beschluss vom 24. April 1979 - 3 Ws 212/79 -).

Da die zur Entscheidung berufene Strafvollstreckungskammer von der am 10. Februar 2002 in Münster erfolgten Inhaftierung des Verurteilten nicht innerhalb der zweiwöchigen Aushangfrist, sondern erst nach deren Ablauf (durch Schreiben des Bewährungshelfers vom 19. März 2002) erfahren hat, ist die öffentliche Zustellung bis zum endgültigen Eintritt ihrer gesetzlichen Folgewirkungen unverändert zulässig ...

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