Entscheidungsstichwort (Thema)

Befristung des Krankenunterhalts bei atypischen Umständen

 

Leitsatz (amtlich)

Wenn der Unterhaltsberechtigte während der Ehe fast durchgehend erwerbstätig war und die Möglichkeit hatte, sich beruflich seinen persönlichen Fähigkeiten und Neigungen entsprechend zu entfalten, während die Unterhaltspflichtige zunächst 20 Jahre lang den Haushalt und die Kinder versorgte und sich erst im Anschluss daran seinem beruflichen Fortkommen widmen konnte und zudem durch die während der Ehe begründeten hohen Verbindlichkeiten der Parteien faktisch allein belastet wird, lassen diese atypischen Umstände auch beim Krankenunterhalt - trotz der hier bestehenden besonderen Verpflichtung zur nachehelichen Solidarität (BGH v. 27.5.2009 - XII ZR 111/08) - eine zeitnahe Befristung des Unterhaltsanspruchs geboten erscheinen.

 

Normenkette

BGB §§ 1572, 1578b

 

Verfahrensgang

AG Wesel (Urteil vom 07.10.2009; Aktenzeichen 17 F 232/08)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 7.10.2009 verkündete Urteil des AG - Familiengericht - Wesel teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

2.Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden dem Kläger auferlegt.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 120 % der beizutreibenden Beträge abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

5. Streitwert für die Berufungsinstanz 3.387 EUR.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt seine geschiedene Frau aus übergegangenem und rückübertragenem Recht auf nachehelichen Unterhalt in Anspruch. Die Parteien haben am 24.9.1979 die Ehe miteinander geschlossen, leben seit September 2003 von einander getrennt und wurden durch das am 23.5.2005 im Verfahren 17 F 21/05 verkündete Urteil des AG Wesel, das seit dem 28.7.2005 rechtskräftig ist, geschieden.

Aus der Ehe sind die Kinder S., geboren am 14.10.1981, C., geboren am 24.1.1985, K., geboren am 12.6.1987, und M., geboren am 12.9.1989, hervorgegangen.

Während der Ehe ging der Kläger zunächst - unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit - einer Erwerbstätigkeit nach, während die Beklagte den Haushalt und die Kinder versorgte. Im Jahr 1999 nahm die Beklagte ein Hochschulstudium auf, das sie im Jahr 2003 als Diplom-Sozialpädagogin abschloss. Im Jahr 2004 nahm sie zunächst im Umfang einer geringfügigen Erwerbstätigkeit eine Stelle als Sozialpädagogin an, die sie bis 2006 zu einer Vollzeittätigkeit ausweitete. Die Beklagte, die in zweiter Ehe verheiratet ist, leidet an einer tablettenpflichtigen Diabetes mellitus und anderen Erkrankungen. Mit Bescheid des Versorgungsamtes Duisburg vom 22.8.2002 wurde ein Grad der Behinderung von 30 % festgestellt.

Dem Kläger, der an einer depressiven Erkrankung leidet, wurde mit Bescheid vom 4.6.2008 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung i.H.v. (netto) 569,16 EUR, beginnend mit dem 1.10.2007, bewilligt.

Das AG hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens als erwiesen angesehen, dass der Kläger bereits bei Rechtskraft des Scheidungsurteils krankheitsbedingt arbeitsunfähig war, und die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Forderung zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt i.H.v. 282,25 EUR ab August 2008 verurteilt.

Soweit der Kläger in erster Instanz rückständigen Unterhalt für die Monate Juni und Juli 2009 verlangt hatte, hat das AG diesen Antrag übergangen. Der Kläger hat innerhalb der Fristen weder eine Berichtigung des Tatbestandes noch eine Ergänzung des Urteils beantragt (§§ 320, 321 ZPO).

Gegen die Verurteilung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie abändernd die vollständige Abweisung der Klage anstrebt.

Die Beklagte hält sich für leistungsunfähig und macht geltend, dass ihr unterhaltsrelevantes Einkommen vom AG fehlerhaft berechnet und der Selbstbehalt nicht beachtet worden sei. Das AG habe verkannt, dass sie noch mit ehebedingten Verbindlichkeiten von 48.300 EUR belastet sei, die sie indirekt durch die Zahlung von monatlich 40 EUR auf einen gepfändeten Bausparvertrag tilge. Auch die Zahlungsverpflichtungen auf nachehelich begründete Verbindlichkeiten seien einkommensmindernd zu berücksichtigen, weil sie bei der Aufnahme der Darlehen nicht mehr damit habe rechnen können, noch auf nachehelichen Unterhalt in Anspruch genommen zu werden. Weiter habe das AG die Kosten für ihr - zur Berufsausübung zwingend benötigtes - Arbeitszimmer, ihre Fahrtkosten sowie ihre gesundheitliche Situation rechtsfehlerhaft unberücksichtigt gelassen.

Der Unterhaltsanspruch sei jedenfalls zu befristen. Nicht der Kläger, sondern sie - die Beklagte - habe ehebedingte Nachteile erlitten, weil sie sich bis 1999 um die Versorgung des Haushalts und die Familie gekümmert habe, während der Kläger seiner beruflichen Tätigkeit habe nachgehen können.

Die Beklagte beantragt, das am 7.10.2009 verkündet Urteil des AG - Familiengericht - We...

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