Leitsatz (amtlich)
1. Zur fiktiven Abrechnung eines unterhalb des Wiederbeschaffungswertes, aber oberhalb des Wiederbeschaffungsaufwandes liegenden Fahrzeugschadens nach polnischem Recht.
2. Ereignet sich der Verkehrsunfall in Polen, kann der Geschädigte Ersatz der Kosten des Transportes seines beschädigten Fahrzeuges zu seinem Wohnsitz in Deutschland verlangen, wenn diese nicht außer Verhältnis zu dem Wert des Fahrzeuges stehen.
3. Der Geschädigte kann die Kosten eines in Deutschland beauftragten Rechtsanwalts nach dem RVG abrechnen; auf die Vergütung, die einem Rechtanwalt in Polen zu zahlen gewesen wäre, kommt es dann nicht an.
Normenkette
KC § 19 Abs. 1; KC Art. 354 § 2, Art. 363 § 1 S. 1, Art. 415
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Aktenzeichen 1 O 341/17) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - das am 04.06.2020 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Düsseldorf (1 O 341/17) teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.997,09 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 14.197,65 Euro seit dem 09.09.2017 bis zum 24.10.2017 und aus einem weiteren Betrag von 6.997,09 Euro ab dem 25.10.2017 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.09.2017 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. pp.
II. Die zulässige Berufung ist nur zu einem geringen Teil begründet.
Zu Recht hat das Landgericht einen nicht durch die Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands beschränkten Anspruch des Klägers auf Erstattung der Reparaturkosten angenommen. Da die Reparaturkosten in Höhe von 11.179,73 Euro den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs nicht überschreiten, liegt kein wirtschaftlicher Totalschaden im Sinne des polnischen Rechts vor. Dabei ist als Wiederbeschaffungswert der in dem Schadensgutachten angegebene Betrag von 12.800,00 Euro maßgeblich, da die Beklagte einen abweichenden Wert nicht hinreichend dargelegt hat. Einer Beweisaufnahme bedurfte es insoweit nicht. Da ein Totalschaden nicht gegeben ist, sind auch die auf diesen Umstand gestützten Einwände der Beklagten gegen die Ansprüche auf Ersatz der Wertminderung und auf Erstattung der Abschleppkosten nicht begründet. Die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat das Landgericht zutreffend wegen des Auslandsbezugs für erforderlich gehalten. Der Ansatz einer auf der Grundlage des RVG bemessenen Vergütung eines deutschen Rechtsanwalts ist nach polnischem Recht nicht zu beanstanden. Ein Anspruch auf Ersatz eines Nutzungsausfallschadens besteht nicht und ist - wie die Begründung des angefochtenen Urteils erkennen lässt - nur versehentlich in den zugesprochenen Gesamtbetrag eingerechnet worden. Insgesamt kann der Kläger unter Berücksichtigung der Teilzahlung der Beklagten daher die Zahlung eines Betrages von 6.997,09 Euro (Reparaturkosten: 5.233,43 Euro; Wertminderung: 300,00 Euro; Abschleppkosten: 1.463,66 Euro) zuzüglich Zinsen und Rechtsanwaltskosten verlangen.
Im Einzelnen:
1. Der Kläger hat gegen den unstreitig für den Unfall verantwortlichen Fahrer des S. einen Anspruch auf Schadensersatz nach Art. 415 KC (kodeks cywilny / polnisches Zivilgesetzbuch). Nach dieser Vorschrift ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer anderen schuldhaft einen Schaden zufügt (MüKoStVR, Polen Rn. 31, beck-online). Diesen Anspruch kann der Kläger nach Art. 19 Abs. 1 des polnischen Gesetzes vom 22.05.2003 über Haftpflichtversicherungen, Versicherungsfonds und das polnische Büro der Verkehrsversicherer unmittelbar gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Seat geltend machen (Rechtsgutachten, Bl. 3; MüKoStVR, Polen Rn. 102, beck-online).
2. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Ersatz der fiktiven Reparaturkosten des beschädigten Fahrzeugs in Höhe von 11.179,73 Euro abzüglich der bereits durch die Beklage erbrachten Zahlung in Höhe von 5.946,30 Euro zu. Bei dem durch das Landgericht zugrunde gelegten Betrag von 11.917,73 Euro handelt es sich um eine aus der Klageschrift übernommene fehlerhafte Übertragung der Wertangabe aus dem Schadensgutachten.
Nach Art. 363 § 1 S. 1 KC kann der Kläger im Falle der Beschädigung einer Sache Schadensersatz in Geld verlangen (Rechtsgutachten, Bl. 3 f.). Dies schließt auch die Möglichkeit einer fiktiven Abrechnung auf Gutachtenbasis ein, da sich der Anspruch auf die voraussichtlichen Reparaturkosten bezieht, falls eine Reparatur noch nicht durchgeführt worden ist (MüKoStVR, Polen Rn. 144, beck-online). Von dem Anspruch ist auch die auf die Reparaturkosten entfallende Mehrwertsteuer umfasst, weil dies auch bei fiktiver Abrechnung nach polnischem Recht nur ausgeschlossen wäre, wenn - was hier nicht ersichtlich ist - der Kläger vorsteuerabzugsber...