Leitsatz (amtlich)
1. Wenn zwischen dem Ersatzberechtigten und dem Ersatzverpflichteten oder seinem Versicherer Verhandlungen über den zu leistenden Schadensersatz schweben, dauert die Hemmung an, bis der eine oder andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert, wobei insoweit jeder Meinungsaustausch über den Schadensfall genügt, sofern nicht sofort eindeutig jeder Ersatz abgelehnt wird.
2. Es liegt keine eindeutige Ablehnung einer Ersatzpflicht vor, wenn der Ersatzverpflichtete lediglich erklärt, die Haftung "grundsätzlich" nicht anerkennen zu können. Denn dies bringt entweder zum Ausdruck, dass eine Haftung jedenfalls nicht ausnahmslos abgelehnt wird, insbesondere z.B. dann nicht, wenn sich die Berufshaftpflichtversicherung der Ersatzverpflichteten zu einer Schadensübernahme bereiterklären sollte, oder dass nicht sie selbst, sondern ein Dritter (z.B. in Gestalt der mit der Regulierung befassten Berufshaftpflicht) zur Anerkennung einer Haftpflicht befugt sein sollte.
3. Ein Abbruch von Verhandlungen durch "Einschlafen lassen" ist nicht anzunehmen, wenn keine direkte Antwort einer Partei erfolgt, sondern erst dann, wenn der Zeitpunkt, zu dem eine Antwort auf die letzte Frage des Ersatzpflichtigen spätestens zu erwarten gewesen wäre, versäumt wurde. Denn in Fällen, in denen der Versicherer die Prüfung von möglichen Ansprüchen übernimmt, kann der allgemeinen Lebenserwartung nach eine Prüfung mehrere Monate andauern. Insbesondere bei Fällen eines möglichen ärztlichen Behandlungsfehlers kann eine mehrmonatige Bearbeitungszeit aufgrund der Komplexität und der Einbeziehung eines Sachverständigen erforderlich sein.
4. Wenn bereits zuvor von einem "Einschlafen" der Vertragsverhandlungen ausgegangen würde, wäre ein später erst erfolgtes abschließendes Ablehnungsschreiben der Versicherung unlogisch.
5. Der Hemmungszeitraum von Verhandlungen gemäß § 203 BGB wird im Falle der Übermittlung des Ablehnungsschreibens erst nach einer dreitägigen Postlaufzeit beendet und zwar unabhängig davon, ob sonstige, explizite verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen worden sind. Dieser Zeitraum wird zu der dreijährigen Regelverjährung nach § 195 BGB hinzuaddiert, wobei die daraus resultierende Summe die Gesamtverjährungsdauer angibt.
6. Die Schadensersatzprüfung durch eine Berufshaftpflichtversicherung wirkt sich unabhängig davon verjährungshemmend aus, ob dem Versicherer eine Regulierungsvollmacht des Versicherungsnehmers vorlag oder nicht, da die Prüfung durch den Versicherer den Gläubiger vor der rechtzeitigen Erhebung der Klage abgehalten hat.
7. Eine pflichtwidrige Untätigkeit eines Rechtsanwalts entsteht nicht durch den Rat zur Klage und die weitere Beratung zum Kostenrisiko.
Verfahrensgang
LG Mönchengladbach (Aktenzeichen 11 O 29/21) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 28.01.2022, Az. 11 O 29/21, wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Klägerin begehrt vom Beklagten Schadensersatz aufgrund von ihr angenommener Anwaltshaftung.
Am 10.02.2014 fertigte die damalige Zahnärztin der Klägerin, Frau Dr. J.-M., Röntgenaufnahmen des kompletten Gebisses der Klägerin an. Auf diesen war am Zahn 46 eine apikale Aufhellung der mesialen Wurzel zu sehen. Nachdem die Klägerin bei Frau Dr. J.-M. abermals vorstellig geworden war, da ein Stück des Zahns 46 abgebrochen war, entfernte diese am 10.03.2014 die scharfen Kanten am Zahn 46 und baute eine Füllung auf. Die Klägerin blieb bis 02.05.2014 in Behandlung bei Frau Dr. J.-M. Anschließend kam es im Jahr 2015 zu einem Schlichtungsverfahren bei der zuständigen Ärztekammer, in dessen Verlauf auch Frau Dr. J.-M. unter dem 04.09.2015 eine Stellungnahme abgab, wobei streitig ist, ob sich dieses Schlichtungsverfahren auf die streitgegenständliche Behandlung bezog. Der Beklagte wurde von der Klägerin im Jahr 2017 als Rechtsanwalt zur Geltendmachung von Ansprüchen wegen eines etwaigen Behandlungsfehlers gegen Frau Dr. J.-M. beauftragt. Hierfür zahlte die Klägerin dem Beklagten einen Kostenvorschuss in Höhe von 350,00 EUR. Mit Schreiben vom 19.12.2017 machte der Beklagte im Namen der Klägerin deren Ansprüche gegenüber Frau Dr. J.-M. geltend, woraufhin von deren damaligem Rechtsanwalt deren Berufshaftpflichtversicherung eingeschaltet wurde. Diese forderte mit ihrem an den Beklagten gerichteten Schreiben vom 02.01.2018 einen Nachweis hinsichtlich der behaupteten Ersatzansprüche an. Sodann forderte der Beklagte mit Schreiben vom 31.01.2018 Frau Dr. J.-M. zur Überlassung der entsprechenden Krankenakte auf, was diese mit undatiertem Schreiben, das dem Beklagten am 16.02.2018 zuging (im Folgenden bezeichnet als "Schreiben vom 16.02.2018"), auch tat. Mit Schreiben vom 10.04.2018 sowie nochmals mit Schreiben vom 08.05.2018 bat der Beklagte Frau Dr. J.-M. um Übersendung des Schreibens...