Entscheidungsstichwort (Thema)
Grobe Fahrlässigkeit bei medikamentenbedingter Fahruntüchtigkeit
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 28.10.2003; Aktenzeichen 11 O 542/01) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 28.10.2003 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG Düsseldorf - Einzelrichter - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung bleibt ohne Erfolg.
Die Beklagte hat dem Kläger gem. §§ 12, 13 AKB den der Höhe nach unstreitigen Fahrzeugschaden zu ersetzen, der durch den Unfall vom 29.6.2000 an dem kaskoversicherten Nissan Micra seiner Ehefrau entstanden ist. Von ihrer Leistungspflicht ist die Beklagte weder unter dem Blickwinkel der grob fahrlässigen Verursachung des Versicherungsfalls (§ 61 VVG) noch dem der Gefahrerhöhung (§§ 23, 25 VVG) frei geworden.
1. Zwar hat die Ehefrau des Klägers objektiv grob fahrlässig gehandelt, als sie in den frühen Morgenstunden des 29.6.2000 mit ihrem Pkw fuhr, obwohl sie am vorherigen Abend und beim Aufwachen des Nachts insgesamt zehn Diazepam-Tabletten zu sich genommen hatte. Dass auch die subjektive Seite der groben Fahrlässigkeit gegeben ist, ist aber, wie das LG mit Recht angenommen hat, nicht feststellbar.
a) Wenn der Versicherungsnehmer - wie hier - völlige Unzurechnungsfähigkeit nicht bewiesen hat, kann der Tatrichter aus dem Grad der objektiven Pflichtverletzung Rückschlüsse auf die innere Tatseite ziehen. Er muss allerdings im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung danach fragen, ob die Gründe, auf die der Versicherungsnehmer die (unbewiesene) Behauptung der völligen Unzurechnungsfähigkeit gestützt hat, Anhaltspunkte dafür bieten, dass zumindest eine erhebliche Beeinträchtigung des Bewusstseins (unterhalb der Schwelle völliger Unzurechnungsfähigkeit) im Sinne einer erheblichen Verminderung der Einsichts- oder Hemmungsfähigkeit vorgelegen hat, die den Vorwurf grober Fahrlässigkeit abmildern kann (BGH v. 29.10.2003 - IV ZR 16/03, BGHReport 2004, 154 = MDR 2004, 328 = VersR 2003, 1561, unter II. 2c). Dem steht nicht entgegen, dass der Schädiger an sich die Beweislast dafür trägt, dass seine Verantwortlichkeit durch Störung der Geistestätigkeit ausgeschlossen ist. Damit ist nämlich nicht gesagt, dass bei einer entsprechenden Anwendung der Vorschrift der Versicherer der ihm nach § 61 VVG obliegenden Beweislast auch für die subjektiven Voraussetzungen grober Fahrlässigkeit enthoben wäre (BGH v. 23.1.1985 - IVa ZR 128/83, MDR 1985, 557 = VersR 1985, 440). Von einer entsprechend gravierenden Einschränkung der Zurechnungsfähigkeit ist im Falle der Ehefrau des Klägers auszugehen. Nach dem Gutachten von Prof. Dr. F. ist sogar wahrscheinlich, wenn auch nicht sicher, dass sie sowohl bei Fahrtantritt als auch zum Zeitpunkt des Unfalls unzurechnungsfähig war (GA 102).
b) Allerdings hat die Rechtsprechung auch bei Einschränkung der Zurechnungsfähigkeit grobe Fahrlässigkeit bejaht, wenn die verminderte Einsichts- und Hemmungsfähigkeit auf Alkoholkonsum beruhte, weil bei fast jedem Kraftfahrer die Hemmschwelle für ein Fahren trotz alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit stark heraufgesetzt ist (BGH v. 22.2.1989 - IVa ZR 274/87, MDR 1989, 618 = VersR 1989, 469, unter 4). Auf Fahruntüchtigkeit infolge der Einnahme von Medikamenten ist das jedoch nicht ohne weiteres übertragbar, zumal die Ehefrau des Klägers nach ihrer nicht zu widerlegenden Aussage in der Vergangenheit keine Ausfallerscheinungen nach Einnahme der ihr verordneten Medizin verspürt hatte (GA 83). Ebenso wenig kann ein in subjektiver Hinsicht grobes Verschulden nach den Regeln der actio libera in causa festgestellt werden. Danach setzt der Schuldvorwurf schon vor Trinkbeginn ein, sofern der Fahrzeugführer damit rechnete, dass er unter Alkoholeinfluss mit seinem Fahrzeug fahren werde (BGH v. 22.2.1989 - IVa ZR 274/87, MDR 1989, 618 = VersR 1989, 469, unter 4). Diese Erwägungen kommen im Streitfall jedoch nicht zum Tragen, weil sich die Ehefrau des Klägers nach Einnahme der ersten Tabletten schlafen gelegt hat. Dass sie nachts aufwachen und sich nach Einnahme weiterer Tabletten ans Steuer ihres Pkw setzen würde, musste sie nicht in Rechnung stellen, zumal sie sich nach ihrem Bekunden in der Vergangenheit im Wesentlichen an die ärztlich angeordnete Dosierung gehalten hatte (GA 80, 81). Ein völliger Kontrollverlust war für sie daher nicht absehbar. Deshalb wird man ihr auch nicht als grobes persönliches Verschulden anlasten können, dass sie die Fahrzeugschlüssel - wie üblich - auf den Küchentisch gelegt hat (GA 83).
2. Ebenso wenig ist die Beklagte wegen Gefahrerhöhung leistungsfrei.
Eine Gefahrerhöhung ist nicht schon dadurch eingetreten, dass die Ehefrau des Klägers ihr Kfz unter Medikamenteneinfluss geführt hat. Die §§ 23 ff. VVG greifen vielmehr nur ein, wenn ein erhöhter Gefahrenzustand von gewisser Dauer entsteht (BGH v. 18.10.1952 - II ZR 72/52, BGHZ 7, 311, unter III. 2c). Davon kann be...