Leitsatz (amtlich)
Kein Anscheinsbeweis gegen den Grundstücksausfahrer bei Kollision mit einem den Gehweg befahrenden Kfz.
Normenkette
StVO § 10
Verfahrensgang
LG Wuppertal (Aktenzeichen 17 O 21/15) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 5. Dezember 2016 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 17. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal - 17 O 21/15 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 4.516,66 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. Februar 2015 sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 650,34 EUR zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 36 % und die Beklagten zu 64 %.
Das vorliegende Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall, der sich am 22. September 2014 gegen 16:10 Uhr in Solingen-Mitte vor dem Kindergarten in der E.-B.-S. ereignet hat.
Von der E.-B.-S. aus führt eine etwa 4,5 m breite, erheblich ansteigende Stichstraße zu der auf der linken Seite gelegenen Zufahrt zum Kindergarten und dem - schräg gegenüber - rechts gelegenen Lager der Beklagten zu 2.
Die Klägerin befuhr zum Unfallzeitpunkt vom Parkplatz des Kindergartens kommend die Zufahrt, um in die E-B.-Straße einzufahren. Hierzu muss der ca. 1,4 m breite Gehweg mit einer ca. 6 - 7 cm hohe Bordsteinkante überfahren werden. Die Grundstückszufahrt des Kindergartens ist auf der einen Seite von einer gemauerten Säule und auf der anderen Seite von einer entsprechend hohen Mauer - 0,8 m (S. 4 des Gutachtens) - eingefasst.
Gleichzeitig näherte sich der Beklagte zu 1. auf der E.-B.-Straße, aus Sicht der Klägerin von rechts kommend, mit dem VW Transporter der Beklagten zu 2., der bei der Beklagten zu 3. versichert ist.
Der Beklagte zu 1. wollte den VW Transporter vor das Lager der Beklagten zu 2. setzen. Hierzu scherte er nach links aus und nahm dabei unstreitig mit der linken Fahrzeugseite einen Teil des Gehwegs links der Fahrbahn in Anspruch. Während der Ausholbewegung kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge im Bereich der rechten vorderen Ecke des Mercedes und der linken vorderen Ecke des VW Transporters.
Die - seinerzeit hochschwangere - Klägerin wurde nach dem Unfall zur Beobachtung für zwei Tage ins Krankenhaus gebracht.
Die Klägerin berechnet die unfallbedingten Schäden wie folgt:
Kosten für ein außergerichtliches Schadensgutachten: 520,05 EUR
Reparaturkosten (GA 13, 16): 4.187,59 EUR
Mietwagen (GA 17) 1.112,00 EUR
Eigenanteil stationäre Behandlung (GA 19) 20,00 EUR
Eigenanteil für therapeutische Maßnahmen (GA 22) 20,20 EUR
Kostenpauschale 25,00 EUR
gesamt: 5.884,84 EUR
Vorgerichtlich hat die Beklagte zu 3. bei der Schadensregulierung zu ihren Lasten eine Schadensquote von 25% zugrunde gelegt.
Mit der Klage beansprucht die Klägerin den vollständigen Ausgleich ihres materiellen Schadens in Höhe von 5.884,84 EUR und ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000 EUR. Abzüglich vorgerichtlich gezahlter 1.848,18 EUR ergibt sich die Klagesumme von (rechnerisch richtig) 7.036,66 EUR. Außerdem begehrt die Klägerin die Erstattung außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 650,34 EUR.
Die Klägerin macht geltend, der Unfall sei für sie unvermeidbar gewesen. Hierzu hat sie - gestützt auf zwei Lichtbilder (GA 7 und 8) - behauptet, sie habe im Zeitpunkt der Kollision mit den Vorderrädern ihres Fahrzeugs auf dem Bürgersteig gestanden.
Die Beklagten haben demgegenüber geltend gemacht, der Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 1. durch Inanspruchnahme des Gehweges sei mit der von ihr angenommenen Quote von 25 % hinreichend berücksichtigt. Sie behaupten, das Fahrzeug der Klägerin sei bei Kollision noch in Fahrbewegung gewesen.
Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien in erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
Das Landgericht hat nach Anhörung der Unfallbeteiligten und Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin D. D. und Einholung eines unfallanalytisches Gutachten des Sachverständigen H. vom 24. März 2016 die Beklagten zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeld von 62,50 EUR verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, es sei nicht bewiesen, dass der Unfall für die Klägerin unabwendbar gewesen sei. Daher seien die wechselseitigen Verursachungsbeiträge gegeneinander abzuwägen. Der Klägerin falle ein Verstoß gegen § 10 StVO zur Last. Für einen solchen Verstoß spreche bereits der Anscheinsbeweis, weil sich der Unfall im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Ausfahren ereignet habe. Diese Pflichtverletzung wiege schwerer als der Verstoß des Beklagten zu 1. gegen § 2 StVO. Die Klägerin habe daher × ihrer Schäden selbst zu tragen. Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die stationäre Behandlung zu, weil sie sich er...