Leitsatz (amtlich)

1. Durch die Neufassung der §§ 218 ff. StGB hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass es ein Recht der Eltern auf ein gesundes Kind grundsätzlich nicht gibt. Ein Schwangerschaftsabbruch kann also nicht auf die Erwägung gestützt werden, die Leibesfrucht sei aufgrund einer genetischen Störung voraussichtlich erheblich geschädigt und eines eigenverantwortlichen Lebens nicht fähig. Die sozialmedizinische Indikation kann in derartigen Fällen eine Abtreibung nur rechtfertigen, wenn die Pflege und Erziehung des wahrscheinlich behinderten Kindes die psychische und physische Belastbarkeit der werdenden Mutter in einem Maße überfordert, welches geeignet ist, das Lebensrecht der Leibesfrucht in den Hintergrund zu drängen. Angesichts dieser Zielsetzung der gesetzlichen Regelung ist zu erwägen, ob einem für das Fehlschlagen einer aufgrund sozial-medizinischer Indikation rechtmäßigen Abtreibung verantwortlichen Arzt ausschließlich die wirtschaftlichen Folgen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung der Mutter, nicht aber die mit der Existenz des Kindes verbundenen Aufwendungen anzulasten sind.

2. Eine sozial-medizinische Indikation kann nur angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte vorgetragen werden, die einen Schwangerschaftsabbruch zur Vermeidung schwerwiegender gesundheitlicher Gefahren für die Mutter nahe legen.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 249 ff., § 276 a.F., §§ 611, 847; StGB § 218 ff.

 

Verfahrensgang

LG Wuppertal (Aktenzeichen 5 O 142/00)

 

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das am 13.3.2001 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des LG Wuppertal wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu 2) 7 % und den Klägern als Gesamtschuldnern weitere 93 % auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 10.000 EUR abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Sicherheiten können auch durch Bürgschaft einer deutschen Bank oder Sparkasse erbracht werden.

 

Tatbestand

Die miteinander verwandten Kläger sind Eheleute und Eltern von zwei gesunden Kindern. Die ausweislich der Karteikarte des Beklagten am 25.1.1960 geborene Klägerin wurde im Jahre 1997 erneut schwanger. Sie suchte am 6.11.1997 in der 15. Schwangerschaftswoche erstmals den Beklagten, dessen Vorgänger sie in seiner frauenärztlichen Praxis regelmäßig betreut hatte, auf. Dieser stellte die Gravidität fest, führte eine Ultraschalluntersuchung durch und ermittelte als voraussichtlichen Geburtstermin den 20.5.1998. In den Monaten November und Dezember 1997 erschien die Patientin mehrfach in der Praxis, wobei der Arzt sie wiederholt zur Vorlage eines Krankenscheins ihrer Versicherung aufforderte. Am 12.1.1998 – in der 23. Schwangerschaftswoche – erfolgte eine genetische Beratung; der Beklagte überwies die Klägerin zur Durchführung einer Fruchtwasseruntersuchung in die gynäkologische Abteilung des Klinikums R. Die dort am 14.1.1998 vorgenommene Amniozentese ergab am 27.1.1998 bei der Leibesfrucht eine Chromosomenstörung im Sinne eines Down-Syndroms. Der Beklagte stellte die Klägerin in der Abteilung für pränatale Diagnostik und Therapie der Universität B. vor; dort äußerte sie den Wunsch, das Kind auszutragen (vgl. Bl. 26 GA). Am 6.4.1998 kam es zur Geburt des Sohnes A.Y., der körperlich und geistig erheblich behindert ist.

Die Kläger machen Ersatzansprüche geltend. Sie haben behauptet, der Beklagte habe sie nicht rechtzeitig über das erhöhte Risiko einer Geburtsschädigung belehrt; eine solche Beratung sei nicht nur wegen des Alters der Kindesmutter, sondern auch angesichts der zwischen den Eltern bestehenden Verwandtschaft angezeigt gewesen. Bei einer frühzeitigen Unterrichtung über die Gefahr einer Chromosomenaberration wäre das kindliche Down-Syndrom bereits im November 1997 festgestellt worden; anschließend hätten sie – die Kläger – sich dazu entschlossen, die Schwangerschaft abzubrechen. Aufgrund seines Fehlverhaltens müsse der Beklagte den gesamten Unterhalt für das behinderte Kind tragen; dabei schulde er neben dem Regelunterhalt den behinderungsbedingten Betreuungsaufwand, für den bei einem Stundenlohn von 20 DM sechs Stunden täglich zu veranschlagen seien. Die Kläger haben den in den ersten zwei Jahren entstandenen Schaden zunächst auf 86.760 DM beziffert, die darauf gerichtete Klage aber in Höhe eines Betrages von 2.400 DM unter Berücksichtigung einer ab dem 1.1.2000 gewährten Unterhaltsbeihilfe i.H.v. 800 DM monatlich zurückgenommen. Daneben hat die Klägerin zum Ausgleich der mit der Entbindung verbundenen immateriellen Beeinträchtigungen ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 15.000 DM verlangt.

Die Kläger haben beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an sie 84.360 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 6.4.1998 zu zahlen;

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet sei, den künftigen Unterhaltsaufwand für ihr am 6.4.1998 geborenes Kind zu ersetzen einschließlich der Kosten für die medizinische Versorg...

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