Leitsatz (amtlich)
1. Das Unterlassen medizinisch erforderlicher diagnostischer Untersuchungsmaßnahmen, die Aufschluss über die Art der Krankheit geben und dann Grundlage für die weiter einzuschlagende Therapie sind, stellt einen ärztlichen Behandlungsfehler dar (vgl. BGH, VersR 1987, 1092 [1093] = NJW 1987, 2293 [2294]). Auch wenn der Arzt in vertretbarer Weise eine bestimmte Diagnose getroffen hat, muss er sie im weiteren Behandlungsverlauf überprüfen, wenn die etwa begonnene Therapie keine Wirkung (hier: anhaltende starke Rückenschmerzen) zeigt.
2. Zu den beweisrechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Erhebung und Sicherung medizinischer Befunde.
Verfahrensgang
LG Duisburg (Entscheidung vom 24.01.2002) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten zu 2) wird das am 24.01.2002 verkündete Teil- und Grundurteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels und unter Zurückweisung der Berufung des Klägers teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Das Teilversäumnisurteil vom 17.04.2000 wird teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 50.000 nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 23.04.2000 sowie ab dem 01.04.1998 eine monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von EUR 150, jeweils im Voraus zum Dritten eines Monats, zu zahlen.
Der Klageantrag zu Ziff. 3) wird hinsichtlich der Beklagten zu 2) dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche weiteren materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm in Zukunft aus der fehlerhaften medizinischen Behandlung im Krankenhaus der Beklagten zu 2) im Februar 1998 entstehen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die weiter gehenden Klageanträge zu 1), 2) und 4) werden abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Parteien wie folgt:
der Kläger trägt 76 % der Gerichtskosten und seiner eigenen außergerichtlichen Kosten sowie 51 % der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2); die Beklagte zu 2) trägt 24 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten des Klägers sowie 49 % ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten.
Im übrigen bleibt die Kostenentscheidung dem Schlussurteil des Landgerichts vorbehalten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beide Parteien dürfen die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn diese nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Der am 22.11.1937 geborene Kläger wurde im Januar 1998 von seinem Hautarzt wegen einer atopischen Dermatitis in die stationäre Behandlung des St. E.-Krankenhauses in O., dessen Träger die Beklagte zu 2) (künftig: die Beklagte) ist, überwiesen. Bei der Aufnahme in der Dermatologischen Abteilung am 26.01.1998 gab der Kläger an, vor kurzem eine antibiotisch behandelte verschleppte Bronchitis/Pleuritis gehabt zu haben. Ausweislich der Behandlungsunterlagen traten am 03.02.1998 Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule auf; bei einer konsiliarischen Untersuchung in der Inneren Abteilung der Beklagten am 04.02.1998 gab der Kläger an, er habe seit 2 bis 3 Tagen ein Gefühl, als wenn ein "Ring" um seine Brust liege. Am 05.02.1998 angefertigte Röntgenaufnahmen zeigten ausgeprägte degenerative Veränderungen der Brustwirbelsäule des Klägers. Am 06.02.1998 wurde der Kläger mit der Diagnose einer Bronchopneumonie auf die Innere Abteilung der Beklagten verlegt. In dem Bericht der Dermatologischen Abteilung vom 06.02.1998 heißt es hierzu:
"Seit 3 Tagen Schmerzen erst lokalisiert BWS, dann Ausstrahlung thorakal + lumbal bei bekanntem LWS-Syndrom. Unter Voltaren + Fellingertropf Zunahme der Schmerzen, im Rö: fortgeschrittene Spondylose"
Bei der Aufnahmeuntersuchung in der Internistischen Abteilung wurde ein Klopfschmerz im Übergang von der Brustwirbelsäule zur Lendenwirbelsäule festgestellt. Es erfolgte sodann eine antibiotische Pneumoniebehandlung und begleitend hierzu unter anderem eine schmerztherapeutische Mitbetreuung durch die Ärzte der Anästhesiologischen Abteilung der Beklagten. Ausweislich der Behandlungsunterlagen klagte der Kläger mehrfach über Rückenschmerzen und forderte Schmerzmittel, war aber insgesamt selbständig und mobil. Am 12.02. und 21.02.1998 wurden weitere Röntgenaufnahmen der Brustwirbelsäule angefertigt, die jedoch keine erkennbare Befundänderung ergaben. Am 27.02.1998 wurde der Kläger aus der stationären Behandlung der Beklagten entlassen; bis zu diesem Zeitpunkt bestand keine neurologische Ausfallsymptomatik.
Am 10.03.1998 wurde der Kläger, der zwischenzeitlich von dem ehemaligen Beklagten zu 1) unter der Diagnose einer exazerbierten chronischen obstruktiven Bronchitis mit Solu-Decortin und einem Antibiotikum behandelt worden war, auf Veranlassung seines Hausarztes in das Evangelische Krankenhaus i...