Leitsatz (amtlich)
1. Die Pflicht des Auftragnehmers aus § 30 Abs. 1 UVV VBG 15, vor Beginn der Schweißarbeiten in brandgefährdeten Bereichen dafür zu sorgen, dass die Brandgefahr beseitigt wird, setzt eine Pflicht des Auftragnehmers zur Untersuchung der vorgesehenen Arbeitsstelle, ihrer Umgebung und unter Umständen auch der Nachbarräume auf solche Gefahren voraus.
2. Diese primäre Untersuchungspflicht des Auftragnehmers besteht wegen der spezifischen werkleistungsbezogenen Brandgefahren von Schweißarbeiten unabhängig von bauordnungsrechtlichen Gegebenheiten und allgemeinen Brandschutzprüfungen des Gebäudes, an dem die Schweißarbeiten vorzunehmen sind, sowie unabhängig von Aufwand, Schwierigkeiten und Absperrmaßnahmen bei der Untersuchung, von der Darstellung der notwendigen Untersuchungs- bzw. Brandvorsorgemaßnahmen im Leistungsverzeichnis und von einer etwaigen zusätzlichen Vergütungspflicht des Auftraggebers.
3. Kann bzw. will der Auftragnehmer die gemäß UVV notwendigen Vorkehrungen aus technischen und/oder wirtschaftlichen Gründen nicht selbst leisten, hat er auf Risikobedenken hinzuweisen und bis zu deren zuverlässigen Erledigung Schweißarbeiten zu unterlassen.
4. Den Bauherrn bzw. bauleitenden Architekten trifft eine "sekundäre" Verkehrssicherungspflicht bei Anhaltspunkten, dass der Unternehmer insoweit nicht genügend sachkundig oder zuverlässig ist, wenn er baustellentypische Gefahrenquellen erkannt hat oder wenn diese bei gewissenhafter Beachtung der ihm obliegenden Sorgfalt für ihn erkennbar waren.
5. Den Bauherrn bzw. bauleitenden Architekten trifft eine "primäre" Verkehrssicherungspflicht, wenn er selbst Maßnahmen an der Baustelle veranlasst, die sich als Gefahrenquelle erweisen können, sei es dass die Auftragserteilung schon unmittelbar Gefahren für andere begründen kann oder dass solche Gefahren nicht von vorneherein ausgeschlossen werden können.
6. Der Auftraggeber hat insoweit die Pflicht, den Auftragnehmer vor Schweißarbeiten zumindest über die Abweichungen des von ihm errichteten Gebäudes vom Brandschutz gegen allgemeine, objekttypische Gefahren im Sinne des öffentlichen Baurechts zu informieren, die bei den anstehenden Schweißarbeiten ein besonderes, wenn auch nur latentes Risiko einer Brandentstehung und/oder -ausbreitung begründen können.
7. Die Verkehrssicherungspflichten von Auftragnehmer und Auftraggeber bestehen unabhängig voneinander. Die Übertragung von Verkehrssicherungspflichten von einer auf eine andere Rechtsperson bedarf klarer Absprachen, welche die Sicherung der Gefahrenquelle zuverlässig garantieren.
8. Die Anwendung des § 10 Nr. 2 Abs. 2 VOB/B als Haftungsprivileg zugunsten des Auftraggebers scheidet auch im Fall beiderseitiger grober Fahrlässigkeit aus.
9. Bei der Abwägung gem. §§ 426, 254 BGB ist unabhängig von der Zahl der Haftungsgründe in erster Linie auf das Maß der beiderseitigen Verursachung (i. S. einer Wahrscheinlichkeit der Herbeiführung des Erfolges) und in zweiter Linie auf das Maß des beiderseitigen Verschuldens abzustellen. Die gem. § 286 ZPO festzustellenden Umstände sind auf ihre Auswirkung im konkreten Fall gem. § 287 ZPO abzuwägen.
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 29.09.2009; Aktenzeichen 6 O 517/98) |
BGH (Aktenzeichen VII ZR 46/11) |
Tenor
Auf die Berufungen beider Parteien wird das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Düsseldorf vom 29.9.2009 unter teilweiser Zurückweisung der Berufung der Klägerin und vollständiger Zurückweisung der Berufung der Beklagten teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neugefasst:
1. Es wird festgestellt, dass für die Ansprüche der B S Versicherungs AG gegen die Parteien als Gesamtschuldner aus dem Vergleich vom 4.4.2007 in dem Rechtsstreit vor dem LG Düsseldorf, 6 O 426/96 (= OLG Düsseldorf 15 U 55/98) im Innenverhältnis der Parteien die Klägerin i.H.v. 25 % und die Beklagte i.H.v. 75 % haftet.
2. Es wird festgestellt, dass für die Ansprüche der I A V AG gegen die Parteien als Gesamtschuldner aus dem Vergleich vom 29.2.2008 in dem Rechtsstreit vor dem LG Düsseldorf 6 O 429/96 (= OLG Düsseldorf 15 U 58/98) im Innenverhältnis der Parteien die Klägerin i.H.v. 25 % und die Beklagte i.H.v. 75 % haftet.
3. a. Es wird festgestellt, dass die Beklagte im Innenverhältnis der Parteien verpflichtet ist, die Klägerin von Ansprüchen der N A V AG gegen die Parteien als Gesamtschuldner, die Gegenstand des Rechtsstreits LG Düsseldorf 6 O 427/96 (= OLG Düsseldorf 15 U 56/98) und des Vergleichsvorschlags des OLG Düsseldorf vom 20.10.2010 sind, i.H.v. 75 % freizustellen.
3. b. Es wird festgestellt, dass für die Ansprüche der T G V AG (vormals: D L V AG) gegen die Parteien als Gesamtschuldner aus dem Vergleich vom 2.11.2010 in dem Rechtsstreit LG Düsseldorf 6 O 428/96 (= OLG Düsseldorf 15 U 57/98) im Innenverhältnis der Parteien die Klägerin i.H.v. 25 % und die Beklagte i.H.v. 75 % haftet.
3. c. Es wird festgestellt, dass für die Ansprüche der H-G I-V AG gegen die Parteien als Gesamtschuldner aus dem Vergleich vom 24.3.2009 in dem Rechtsstreit vor dem ...