Leitsatz (amtlich)
1. Unterliegt ein Anspruch der (kurzen) regelmäßigen Verjährung von drei Jahren (§§ 195, 199 BGB), kann eine weitere Abkürzung dieser Verjährungsfrist durch Verwirkung nur unter ganz besonderen Umständen (z.B. bei einem Verhalten des Berechtigten, das einem stillschweigenden Verzicht nahekommt) angenommen werden.
2. Zwischen dem sog. Zeitmoment und dem sog. Umstandsmoment besteht insofern eine Wechselwirkung, als der Zeitablauf (im Rahmen des Zeitmoments) um so kürzer sein kann, je gravierender die sonstigen Umstände (im Rahmen des Umstandsmoments) sind.
3. Bei der Prüfung der Verwirkung kann zu berücksichtigen sein, dass beide Parteien - ungeachtet ihrer tatsächlichen Kaufmannseigenschaft im Rechtssinne - im Rahmen eines großvolumigen Werkvertrages am kaufmännischen Geschäftsverkehr teilgenommen haben.
4. Bei der Prüfung der Verwirkung kann zu berücksichtigen sein, ob für den Berechtigten - auch unter Berücksichtigung der werkvertraglichen Kooperationspflichten - ohne weiteres offensichtlich war, dass der Verpflichtete nur Zwischenunternehmer in der Leistungskette war, insoweit selbst entsprechenden Abrechnungspflichten bzw. -obliegenheiten im Verhältnis zu seinem Auftraggeber unterlag und eine baldmögliche abschließende Endabrechnung des Vertragsverhältnisses notwendig erschien.
5. Der Verpflichtete trägt die Beweislast für die Voraussetzungen der Verwirkung; der Berechtigte ist indes dafür darlegungspflichtig, wann und wie er den in Rede stehenden Anspruch geltend gemacht hat.
6. Ein Prüfvermerk des Architekten bzw. der Bauleitung bzw. des Auftraggebers ist regelmäßig keine Grundlage für die Annahme eines deklaratorischen Anerkenntnisses.
7. Die Grundsätze zu sog. Saldoanerkenntnissen sind auf andere Rechtsbeziehungen - insbesondere auch auf die Korrespondenz der Werkvertragsparteien nach Vorlage der Schlussrechnung - grundsätzlich nicht übertragbar.
8. Unter Berücksichtigung der entsprechenden Abgrenzung der unterschiedlichen Rechtskraftwirkungen in der neueren Rechtsprechung des BGH verbietet es das Verschlechterungsverbot, dass das Berufungsgericht auf die Berufung der Klägerin die hier erfolgte Teilabweisung der Klage als zur Zeit unbegründet ohne Anschlussberufung der Beklagten durch ein endgültige Abweisung (d.h. eine Abweisung schlechthin) ersetzt.
Verfahrensgang
LG M. (Urteil vom 27.01.2015; Aktenzeichen 3 O 393/13) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des LG M. vom 27.01.2015 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Urteilstenor zur Hauptsache - nur zwecks Klarstellung - wie folgt gefasst wird:
Die Klage wird in Höhe von 43.501,32 EUR (37.613,54 EUR + 5.887,78 EUR) sowie in Höhe des gesamten geltend gemachten Anspruchs auf Zinsen als (endgültig) unbegründet und in Höhe von 14.767,43 EUR (14.059,29 EUR + 708,14 EUR) als derzeit unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird gestattet, die Zwangsvollstreckung der Beklagten (wegen der Kosten) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Klägerin macht restliche Vergütungsansprüche aus zwei vorzeitig beendeten Werkverträgen über Elektro-Installationen in einem Krankenhaus in M. in Höhe von 58.268,75 EUR nebst Verzugszinsen geltend, bestehend aus drei Teilpositionen:
1. Schlussrechnung Bauteil S (Anlage K4) |
140.592,91 EUR |
(einschl. 10 % Sicherheitseinbehalt bzw. 14.059,29 EUR) |
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./. Abschlagszahlungen = verbleibende |
49.840,57 EUR |
2. Schlussrechnung Bauteil M-P (Anlage K9) 7.081,43 EUR |
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(einschl. 10 % Sicherheitseinbehalt bzw. 708,14 EUR) |
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./. Abschlagszahlungen = verbleibende |
2.540,40 EUR |
Zwischensumme zu 1. und 2. |
52.380,97 EUR |
davon Anteil Restwerklohn |
37.613,54 EUR |
davon Anteil Sicherheitsleistung |
14.767,43 EUR |
3. 5 % für nicht erbrachte Werkleistungen Bauteil S in Höhe von |
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-vereinbarte Vergütung |
257.814,97 EUR (17 GA) |
./. erbrachte Werkleistung |
140.059,29 EUR |
Zwischensumme |
117.755.68 EUR |
davon 5 % |
5.887,78 EUR |
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Klageforderung (Summe zu 1.-3.) |
58.268,75 EUR |
Wegen weiterer Einzelheiten wird gemäß § 540 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Das LG hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klage sei zulässig, insbesondere sei das LG M. örtlich zuständig und die Klägerin prozessfähig und durch Herrn F. ordnungsgemäß vertreten.
Die von der Klägerin geltend gemachten Vergütungsansprüche seien verwirkt.
Das Zeitmoment sei im Hinblick auf besondere Umstände auch vor Ablauf der Regelverjährung von drei Jahren erfüllt, da die Klägerin im Zeitraum zwischen den Schlussrechnungen vom 02.06.2010 und der im vorliegenden Verfahren am 19.12.2013 eingegangenen Klage die Zahlung nicht angemahnt oder nochmals geltend gemacht habe. Da das Verhalten d...