Leitsatz (amtlich)
1. Werden die DIN-Normen (bzw. die sonstigen allgemein anerkannten Regeln der Technik) bei einer Werkleistung nicht eingehalten, so spricht wegen der damit verbundenen Gefahrerhöhung eine tatsächliche Vermutung (im Sinne der Grundsätze des Anscheinsbeweises) dafür, dass im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Werkleistung entstandene Schäden bei Beachtung der DIN-Normen vermieden worden wären und auf die Verletzung der DIN-Normen zurückzuführen sind.
2. Die Verletzung von DIN-Normen bzw. von allgemein anerkannten Regeln der Technik erlaubt insoweit als Erfahrungssatz den Schluss, dass das Schadensrisiko demjenigen zuzuweisen ist, der es durch die Wahrung dieser Regeln gerade abwenden sollte.
3. Im privaten Baurecht obliegt dem Werkunternehmer die Darlegung und die Erschütterung des Anscheins, dass eingetretene Schäden nicht auf der Nichteinhaltung der technischen Vorgaben beruhen, d.h. auch im Falle deren Beachtung entstanden wären; in diesem Zusammenhang verbleibende Zweifel gehen zu Lasten des Werkunternehmers.
4. Zur Erschütterung des Anscheinsbeweises genügen keinesfalls bloße Vermutungen des Werkunternehmers, sondern er muss im Einzelnen dartun und ggf. voll beweisen, dass die behauptete atypische Ursache ernsthaft in Betracht kommt.
5. Nur wenn der Werkunternemer ernsthaft in Betracht kommende Möglichkeiten eines atypischen Geschehensablauf substantiiert dartut und diese im Wege des sog. vereinfachten Gegenbeweises zur vollen Überzeugung des Gerichts i.S.v. § 286 ZPO beweist, obliegt dem Bauherrn bzw. Anspruchsteller sodann wieder der Vollbeweis seines Vortrags zu Ursächlichkeit bzw. Verschulden; bleibt der Werkunternehmer hinreichenden Sachvortrag zu einem atypischen Geschehensablauf bzw. den diesbezüglichen sog. vereinfachten Gegenbeweis fällig, ist der vom Bauherrn bzw. Anspruchsteller zu führende Beweis durch den (nicht erschütterten) Anscheinsbeweis geführt.
6. Ebenso wie bei den Unfallverhütungsvorschriften (UVV) widersprechenden Schweißarbeiten die Behauptung des Werkunternehmers nicht ausreicht, der Brand sei möglicherweise durch ein weggeworfenes Zündholz oder eine Zigarettenkippe verursacht worden, reichen bei den anerkannten technischen Regeln widersprechenden Deckenputzarbeiten Vermutungen eines von der Werkunternehmerin eingeschalteten Privatsachverständigen nicht aus, das Herabfallen von Teilen des von ihr gefertigten Deckenputzes könne auch möglichweise auf irgendwelchen sonstigen Einflüssen beruhen, die auch ordnungsgemäß erstellten Deckenputz hätten herabfallen lassen.
Verfahrensgang
LG Krefeld (Urteil vom 19.06.2013; Aktenzeichen 2 O 106/11) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Grundurteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des LG Krefeld vom 19.6.2013 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung des Klägers - wegen der Kosten des Berufungsverfahrens - durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Der Kläger - Arbeitnehmer der K. C. gGmbH - macht gegen die Beklagte, die im Altenheim M.-S. in K. Ende 2001/Anfang 2002 (vgl. 91 GA) aufgrund werkvertraglicher Verpflichtung die Fertigbetondecken verputzt hat - wegen eines Vorfalls vom 16.5.2008, bei dem sich im Zimmer Nr. 26 Teile des Deckenputzes gelöst haben, zu Boden gefallen sein und ihn am Kopf getroffen haben sollen (mit der vom Kläger behaupteten Folge seiner Bewusstlosigkeit, seines Aufpralls gegen ein Möbelstück und eines von ihm erlittenen inkompletten Querschnittsyndroms) ein Schmerzensgeld von mindestens 60.000 EUR geltend. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Tatbestand der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen.
Das LG hat nach Beweisaufnahme (Vernehmung von Zeugen und Einholung von Gutachten des Sachverständigen A.) der Klage dem Grunde nach stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Dem Kläger stehe dem Grunde nach ein Schmerzensgeldanspruch aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und aus § 823 Abs. 1 BGB zu. Der Kläger habe zur vollen Überzeugung bewiesen, dass der Putz mangelhaft aufgebracht, deshalb am 16.5.2008 herabgefallen und er hierdurch an seinem Körper verletzt worden ist. Zwar habe der Kläger nicht mit hinreichender Sicherheit beweisen können, welche handwerklichen Fehler der Mitarbeiter der Beklagten gemacht habe. Dem Kläger komme jedoch ein Anscheinsbeweis zugute, da der Umstand, dass es an der Unfallstelle zum Herabfallen von Putz gekommen sei, nach der Lebenserfahrung auf ein mangelhaftes, da nicht den vom Sachverständigen A. dargestellten technischen Regeln entsprechendes Arbeiten schließen lasse. Der Anscheinsbeweis werde hier dadurch bestärkt, dass in dem Heim nach dem Unfall sechs Hohlstellen fe...