Leitsatz (amtlich)
1. Zu den wesentlichen Verfahrensvorschriften über die öffentliche Zustellung gehört die Beachtung der notwendigen Dauer des Aushangs der zuzustellenden Schriftstücke an der Gerichtstafel.
2. Die unter Verletzung dieser Vorschriften erfolgte Zustellung eines Versäumnisurteils setzt die Einspruchsfrist nicht in Gang.
3. Ob die öffentliche Zustellung eines Versäumnisurteils auch unwirksam ist, wenn das Gericht diese in einem Beschluss nicht nur für die zunächst zu bewirkende Zustellung der Klageschrift nebst prozessleitender Verfügung, sondern auch bereits für ein künftig etwa ergehendes Versäumnisurteil angeordnet hat, bleibt offen.
Normenkette
ZPO §§ 186, 188-189
Verfahrensgang
LG Wuppertal (Urteil vom 10.06.2010; Aktenzeichen 17 O 378/04) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten werden das am 10.6.2010 verkündete Urteil der 17. Zivilkammer des LG Wuppertal und das ihm zugrunde liegende Verfahren aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur Durchführung des Einspruchsverfahrens einschließlich der Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt den Beklagten als Bürgen für eine aus einem Leasingvertrag bestehende Forderung sowie aus unerlaubter Handlung auf Schadensersatz in Anspruch.
Nachdem die Klageschrift vom 11.11.2004 zunächst nicht zugestellt werden konnte und Ermittlungen nach dem Aufenthaltsort des Beklagten erfolglos geblieben waren, ordnete das LG durch Beschluss vom 24.2.2005 die öffentliche Zustellung
- der Klageschrift sowie weiterer bis dahin eingegangener Schriftsätze der Klägerin,
- der das schriftliche Vorverfahren anordnenden prozessleitenden Verfügung des Vorsitzenden,
- eines etwaigen Versäumnisurteils und des etwaigen Kostenfestsetzungsbeschlusses,
- des Beschlusses über die öffentliche Zustellung
an.
Ausweislich der Akte ist die Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung der Klageschrift nebst Anlagen und Schriftsätzen, der prozessleitenden Verfügung sowie des Beschlusses vom 24.2.2005 am 2.3.2005 an die Gerichtstafel geheftet worden. Wann die Benachrichtigung wieder abgenommen wurde, ergibt sich aus den Akten nicht.
Wie von der Klägerin bereits mit der Klageschrift beantragt, hat das LG am 25.4.2005 im schriftlichen Verfahren ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten, mit dem dieser antragsgemäß zur Zahlung vom 30.961,82 EUR nebst Zinsen und Kosten verurteilt wurde. Die Einspruchsfrist wurde hierin auf vier Wochen festgesetzt.
Durch Verfügung der Geschäftsstelle vom 2.5.2005 wurde angeordnet, dass eine einfache Ausfertigung des Versäumnisurteils durch öffentliche Zustellung an den Beklagten gehen sollte; dahinter findet sich der handschriftliche Zusatz: "(für 2 Wochen an Gerichtstafel heften)".
Die Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung wurde daraufhin am 3.5.2005 an die Gerichtstafel geheftet und am 19.5.2005 wieder abgenommen. Auf dem Versäumnisurteil wurde der 19.5.2005 als Tag der Zustellung an den Beklagten vermerkt.
Mit beim LG am 23.12.2009 eingegangenen Schriftsatz hat der Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt und zugleich - hilfsweise - um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist gebeten (künftig: Wiedereinsetzung). Durch das angefochtene Urteil hat das LG den Einspruch als unzulässig verworfen sowie die Wiedereinsetzung für unbegründet erachtet und deshalb versagt.
Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten. Er will unter Abänderung des angefochtenen Urteils sowie unter Aufhebung des Versäumnisurteils die Klageabweisung erreichen. Die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils sei unwirksam, weil sein Aufenthaltsort nicht unbekannt gewesen sei und zudem die Anordnung vom 24.2.2005 nicht bereits für ein etwaiges Versäumnisurteil habe ergehen dürfen. Jedenfalls sei ihm zu Unrecht die Wiedereinsetzung versagt worden.
Der Kläger bittet um Zurückweisung der Berufung.
II. Die zulässige, insbesondere rechtzeitig eingelegte Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
Das Rechtsmittel des Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils samt dem ihm zugrunde liegenden Verfahren und auf den Antrag des Beklagten zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Gericht des ersten Rechtszugs, um diesem Gelegenheit zu geben, das zulässige Einspruchsverfahren durchzuführen und den Rechtsstreit sachlich zu entscheiden. Das LG hat nämlich den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen (§ 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
1. Der Einspruch ist entgegen der im angefochtenen Urteil zu Lasten der Beklagten getroffenen Feststellungen nicht verfristet, weshalb ein Fall der Wiedereinsetzung nicht vorliegt.
a) Die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils ist schon deshalb unwirksam und hat die Einspruchsfrist nicht in Gang gesetzt, weil sie nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden ist, sondern wesentliche Verfahrensvorschriften missachtet worden sind, nämlich §§ 186 Abs. 2,