Leitsatz (amtlich)
1. Bedarf der Heimbewohner beim Ent- und Ankleiden der besonderen Betreuung und Fürsorge, so trifft den Heimbetreiber und seine Angestellten eine gesteigerte, erfolgsbezogene Obhutspflicht.
2. Kommt der Heimbewohner in einer derartigen Situation zu Schaden, so hat sich der Heimbetreiber von vermutetem Verschulden zu entlasten
3. Es ist Aufgabe des Gerichts, nicht des Sachverständigen auf Grund seiner Feststellungen das Verschulden zu beurteilen und eine etwaige Fahrlässigkeit anzunehmen.
Normenkette
BGB §§ 675, 611, 280, 823; StGB § 229; HeimG
Verfahrensgang
LG Wuppertal (Urteil vom 24.02.2011; Aktenzeichen 5 O 226/09) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 24.2.2011 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des LG Wuppertal - Einzelrichter - unter Zurückweisung der weiter gehenden Berufung teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.426,92 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.4.2007 sowie weitere 313,86 EUR zu zahlen. Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
A Die Klägerin ist der gesetzliche Krankenversicherer der am 4.8.1933 geborenen Frau K. (im Folgenden: "Versicherte"). Die Versicherte wird seit dem Jahre 2003 vollstationär in einem von der Beklagten betriebenen Altenheim untergebracht und versorgt. Ausweislich eines MDK-Gutachtens vom 13.6.2003 besteht die Pflegestufe II u.a. wegen einer Mobilitätseinbuße bei Stammganglienblutung rechts mit Hemiplegie links.
Nach einer am 5.9.2005 erstellten Check-Liste zur Sturzprophylaxe musste für die Versicherte der Klägerin eine bestehende Sturzgefährdung in die Pflegeplanung aufgenommen werden. Für den 16.11.2005 ist in der Pflegedokumentation der Beklagten u.a. vermerkt:
"Problem: Balanceschwierigkeiten
Ziel: Sturzvermeidung, Gleichgewichtsstabilität, keine Stürze
Maßnahmen: Bewohnerin nie alleine stehen lassen, Bewohnerin kann sich zum Stehen mit der Hand am Bettgitter festhalten und steht dann selbständig auf und gerade stehen".
Die Pflegedokumentation der Beklagten verzeichnet weiter in den Monaten November und Dezember 2005 mehrmals Auffälligkeiten der Versicherten. So ist für den 18.11.2005 vermerkt, dass die Versicherte bei der Mobilisation sehr schlecht gestanden habe; es wird um Achtsamkeit beim Toilettengang ersucht. Am Abend des 19.11.2005 rutschte die Versicherte bei einem Transfer zu Boden, ohne dass es zu Verletzungen kam. Am 15.12.2005 wird dokumentiert, die Versicherte habe beim Stehen einen starken Rechtsdrang.
Am 28.1.2006 gegen 14.00 Uhr stürzte die Versicherte nach einem Toilettengang. Ausweislich einer schriftlichen Stellungnahme der Pflegeschwester vollzog sich der Sturz wie folgt: "Am 28.1.2006, 14.00 Uhr, wurde Frau K. auf den Toilettenstuhl gesetzt. Beim Wiederankleiden stand sie am festgestellten Bett und hielt sich mit beiden Händen fest. Direkt hinter ihr stand der festgestellte Toilettenstuhl und neben ihr eine Pflegekraft. Ohne erkennbaren Anlass und unvermittelt kippte Frau K. zur Seite. Obwohl die anwesende Pflegekraft sie noch teilweise halten konnte, glitt sie zwischen Bett und Toilettenstuhl auf den Boden."
Durch den Sturz zog sich die Versicherte einen Oberschenkelhalsbruch links zu. Deswegen musste sie sich stationär im Klinikum der Stadt Solingen in der Zeit vom 28.1. bis zum 14.2.2006 aufhalten. Die Klägerin musste unstreitig Heilungskosten i.H.v. insgesamt 6.426,92 EUR aufwenden.
Mit Schreiben vom 27.3.2006 meldete die Klägerin bei der Beklagten erstmals Schadensersatzansprüche zur Zahlung an, die sie mit Schreiben vom 20.3.2007 bezifferte. Die Beklagte hatte bereits zuvor ihre Haftung dem Grunde nach abgelehnt.
Die Klägerin hat behauptet, der Sturz ihrer Versicherten sei auf die Verletzung von Betreuungs- und Aufsichtspflichten der Mitarbeiter der Beklagten zurückzuführen. Sie hat die Ansicht vertreten, zu ihren Gunsten streite ein Anscheinsbeweis, da es Aufgabe der Mitarbeiter der Beklagten in der konkreten Betreuungssituation gewesen sei, Stürze der Versicherten zu vermeiden. Es sei deshalb Sache der Beklagten aufzuzeigen und nachzuweisen, dass der Vorfall nicht auf einem Fehlverhalten des Pflegepersonals beruhe. In der konkreten Gefahrensituation habe für die Versicherte eine zweite Pflegeperson hinzugezogen werden müssen, um jegliche Sturzgefahr auszuschalten. Es stelle auch einen Pflegefehler dar, dass die Pflegekraft die Versicherte in dem Moment des Aufstehens und des Ankleidens nicht gestützt habe.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 6.426,92 EUR nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.4.2007 sowie vorgerichtliche Rechtanwaltskosten von 603,93 EUR zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, bei dem Sturz der Versicherten habe es sich um ein schicksalhaftes Ereignis gehandelt, für welches sie nicht hafte. Aus den Unterlagen "...