Leitsatz (amtlich)
1. Die Obhutspflicht eines Pflegeheimbetreibers, deren Verletzung grundsätzlich der Geschädigte zu beweisen hat, ist auf die Maßnahmen, die in Pflegeheimen mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind, begrenzt.
2. In einer Gefahrensituation ist die Obhutspflicht gesteigert mit der Folge, dass dem Pflichtigen im Schadensfall der Entlastungsbeweis obliegt (hier bejaht für Sturz einer nicht mehr standsicheren Heimbewohnerin).
Normenkette
BGB §§ 611, 280, 823, 831; HeimG § 3
Verfahrensgang
LG Wuppertal (Urteil vom 12.07.2007; Aktenzeichen 3 O 276/07) |
Tenor
Auf die Berufung Klägerin wird das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Wuppertal - Einzelrichter - vom 12.7.2007 abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.145,65 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.6.2006 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
A. Die klagende Krankenkasse verlangt von der beklagten Pflegeheim-Betreibergesellschaft aus übergegangenem Recht Ersatz unfallbedingter Kosten, die ihr durch die stationäre und ambulante Behandlung und Pflege der bei ihr gesetzlich versicherten W. K. (geb. am 7.7.1909, verstorben am 1.1.2007 - künftig: Versicherte) entstanden sind. Dem liegt folgendes Geschehen zugrunde:
Die Versicherte lebte seit 1998 in vollstationärer Pflege in dem von der Beklagten betriebenen Altenwohnheim "Seniorenzentrum H." in V.. Vor Aufnahme in das Pflegeheim hatte sie sich bereits 1988 und 1996 bei Stürzen schwere Verletzungen zugezogen, zuletzt eine Oberschenkelfraktur und eine Lendenwirbelfraktur. In einem zum Umfang ihrer Pflegebedürftigkeit am 11.8.1997 erstellten Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenkasse (MDK N.) waren u.a. Morbus Parkinson, Osteoporose und Altersschwäche festgestellt worden. Während ihres Aufenthaltes im Pflegeheim zog sich die Versicherte infolge eines weiteren Sturzes am 6.1.2003 erneut erhebliche Verletzungen (Bruch der Hüfte) zu, die eine Krankenhausbehandlung und eine Operation erforderten.
Am 10.2.2006 begleitete die bei der Beklagten als Altenpflegehelferin angestellte Zeugin A. die Versicherte auf deren Wunsch zur Toilette. Hierzu setzte die Zeugin die Versicherte in einen Rollstuhl, fuhr sie in den Toilettenraum und setzte sie auf die Toilette. Nach Durchführung der Intimhygiene erlitt die Versicherte, während sie sich aufrecht stehend an zwei Haltestangen festhielt und die Zeugin A. gerade mit dem Richten der Kleidung befasst war, einen Schwächeanfall und sackte in sich zusammen. Hierbei erlitt sie eine Tibiafraktur. Infolge des Unfalls wurde die Versicherte bis zum 24.3.2006 stationär und anschließend ambulant behandelt, wofür die Klägerin Sozialleistungen in Höhe eines Gesamtbetrags von 10.145,65 EUR erbrachte.
Durch das angefochtene Urteil, auf dessen Tatbestand gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens erster Instanz Bezug genommen wird, hat das LG die Klage abgewiesen, da der Vortrag der Klägerin zur Kenntnis des Pflegepersonals von Schwindelanfällen und mangelnder Standsicherheit der Versicherten unsubstantiiert sei.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie macht geltend: Die Verletzung, die sich die Versicherte am 10.2.2006 zugezogen habe, beruhe auf einem Fehler des Pflegepersonals bei Durchführung einer konkreten Pflegeleistung. Das Pflegepersonal habe durch geeignete Stützung der Versicherten dafür Sorge tragen müssen, einen Sturz der Versicherten zu verhindern. Pflegeleitung und Pflegepersonal seien durch die Nichte der Versicherten - die Zeugin J. - vielfach darauf hingewiesen worden, dass die Versicherte unter Schwindelanfällen litt und standunsicher sei. Das Pflegepersonal habe aber auch - jedenfalls seit Ende des Jahres 2005 - eigene Erkenntnisse zu der zunehmenden Immobilität der Versicherten gehabt, wie dem MDK-Gutachten vom 18.10.2006 zu entnehmen sei. Die Notwendigkeit, bei entsprechenden Umständen eine zweite Pflegekraft zur Durchführung einer Pflegeleistung hinzuzuziehen, sei dem Personal des Pflegeheims zumindest durch die Gespräche mit der Zeugin J. bekannt gewesen.
Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.145,65 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.6.2006 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie behauptet: Ein Hinzuziehen weiterer Pflegekräfte zur Hilfestellung während des Toilettengangs der Versicherten sei zu deren ordnungsgemäßer Versorgung nicht erforderlich gewesen. Weder habe die Zeugin J. das Pflegepersonal auf eine solche Notwendigkeit hingewiesen noch habe sich diese Notwendigkeit aus anderen Erkenntnisquellen ergeben. Im Übrigen wiederholt und vertieft die Beklagte ihr erstinstanzliches Vorbringen
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen J. und...