Orientierungssatz
1. Der Anspruch auf Vorlage eines Jahresabschlusses in nicht abgekürzter Form ist als Auskunftsanspruch im Sinne von AktG § 132 Abs 1 S 1 zu behandeln. Bei der Pflicht zur Vorlage des Jahresabschlusses handelt es sich bei der Sache nach um die Verpflichtung zur Rechenschaftslegung im Sinne von BGB § 259. Diese Verpflichtung unterscheidet sich von der Pflicht zur Erteilung einer Auskunft nur graduell. Sie beinhaltet letztlich lediglich eine besondere, genauere Art der Auskunft (so auch BGH, 1985-01-29, X ZR 54/83, BGHZ 93, 327).
2. Zwar kann vom Vorstand nicht verlangt werden, daß er jede ins einzelne gehende Frage ohne vorherige Nachforschungen zu beantworten vermag. Andererseits ist das Auskunftsrecht nicht auf einfache und leicht zu beschaffende Auskünfte beschränkt. Vielmehr erfaßt es auch Gegenstände, auf die der Vorstand bei angemessener Vorbereitung und unter Beiziehung bereitzuhaltender Unterlagen und sachkundiger Mitarbeiter ohne wesentliche Verzögerung der Hauptversammlung eingehen kann.
3. Die Auskunft darf verweigert werden, soweit ihre Erteilung nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung geeignet ist, der Gesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen.
4. Die Eignung der Auskunft, einen solchen nicht unerheblichen Nachteil herbeizuführen, muß sich bei vernünftiger kaufmännischer Betrachtung ergeben. Wie die Frage der Erforderlichkeit der Auskunft unterliegt auch die Beurteilung der etwaigen Schädlichkeit in vollem Umfange der richterlichen Nachprüfung. Erforderlich ist insoweit, daß die Gesellschaft Tatsachen darlegt, aus denen mit einiger Plausibilität die Schädlichkeit der begehrten Auskunft entnommen werden kann.
5. Streitig ist bei der Feststellung eines „nicht unerheblichen Nachteils”, ob eine Interessenabwägung der Art stattzufinden hat, daß das Gewicht eines aus der Auskunfterteilung drohenden Schadens dem Nutzen gegenüberzustellen ist, der sich für den fragenden Aktionär aus der Auskunftserteilung ergeben mag.
6. Eine solche Abwägung ist jedenfalls insofern vorzunehmen, als eine Auskunft über vorgekommene Unregelmäßigkeiten sowohl nachteilig für die Gesellschaft sein kann als auch der dadurch eingeleiteten Beseitigung von Mißständen Vorteile zu bringen geeignet ist.
7. Beruft sich ein Aktionär darauf, daß die für die Gesellschaft nachteilige Auskunftserteilung wegen der dadurch herbeigeführten Aufdeckung von Mißständen gleichwohl insgesamt vorteilhaft sei, so hat er seinerseits die Umstände darzutun, die den Schluß auf ein Fehlverhalten der Verwaltung nahelegen (vergleiche BGH, 1982-11-29, II ZR 88/81, BGHZ 86, 1).
8. Für die Begründetheit des Auskunftsbegehrens kommt es nicht darauf an, welche Motive die Aktionäre mit der Fragestellung verfolgen, es sei denn, sie handelten rechtsmißbräuchlich.
9. Für den Aktionär ist es erforderlich zu wissen, wie sich Umsatzerlöse entwickelt haben, wenn er die Perspektiven eines Geschäftsbereichs beurteilen will. Nur mit den Daten eines Jahres läßt sich die Bedeutung eines Geschäftszweiges nicht hinreichend beurteilen. Daß auch der Vergleich mit dem Vorjahresergebnis bezüglich einzelner Geschäftsvorfälle der Auskunftspflicht unterliegen kann, ist anerkannt (so auch BGH, 1960-04-07, II ZR 143/58, BGHZ 32, 159).
10. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit der Auskunft ist insbesondere auch im Hinblick auf die Entlastung der Verwaltung ein strenger Maßstab anzulegen. Es muß im Auge behalten werden, daß die Entlastung nicht mehr den Verzicht auf Ersatzansprüche zum Inhalt hat, sondern lediglich ein generelles Vertrauensvotum bedeutet. Um dieses aussprechen zu können, ist es nicht erforderlich, auch über unbedeutendere Geschäftsvorfälle umfassend aufgeklärt zu werden.
11. Eine Erforderlichkeit kann nicht bejaht werden, wenn in der Hauptversammlung ein Jahresabschluß in nicht abgekürzter Form gemäß AktG § 131 Abs 1 S 3 vorgelegt wird, aus welchem sich eine Beantwortung des Auskunftsbegehrens ergibt. Wird ein Jahresabschluß entgegen der Verpflichtung aus AktG § 131 Abs 1 S 3 nicht vorgelegt, so führt dies grundsätzlich dazu, daß in einem solchen Falle eine sich sonst aus dem Jahresabschluß ergebende Auskunft in mündlicher Form gemäß AktG § 131 Abs 1 S 1 begehrt werden kann. Wird indes auch diese Auskunft verweigert, so können inhaltlich identische Auskünfte im Verfahren gemäß AktG § 132 nicht doppelt verfolgt werden.
12. Es ist anerkannt, daß der Aktionär sich grundsätzlich nicht auf eine schriftliche Beantwortung seiner Fragen oder auf die Vorlage von Unterlagen verweisen zu lassen braucht. Anders kann es sich nur verhalten, wenn zur Beantwortung der Fragen des Aktionärs eine Vielzahl einzelner Daten mitgeteilt werden muß und ihm durch die Einsicht in Auflistungen eine schnellere und zuverlässigere Unterrichtung möglich ist, als wenn die Daten mündlich vorgetragen werden. Voraussetzung ist allerdings stets, daß dem Aktionär die Gelegenheit geboten wird, währen der Dauer der Hauptversammlung in diese Aufzeic...