Leitsatz (amtlich)
1. Die Rücknahme des Einspruchs im Kartellbußgeldverfahren ist im Fall der Aufhebung und Zurückverweisung einer erstinstanzlichen Bußgeldentscheidung durch das Rechtsbeschwerdegericht nur mit Zustimmung des Gegners - hier der Generalstaatsanwaltschaft - nach §§ 71 OWiG, 411 Abs. 2 Satz 3, 303 StPO möglich, wenn aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden ist (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 16. Juni 1970, 5 StR 602/69, NJW 1970, 1512).
2. § 74 Abs. 2 OWiG findet als allgemeine Vorschrift des Ordnungswidrigkeitenrechts in Kartellbußgeldverfahren und insbesondere auch in Bezug auf juristische Personen als Nebenbetroffene Anwendung. Dem steht § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 444 StPO nicht entgegen. Im Fall des unentschuldigten Nichterscheinens der gesetzlichen Vertreter einer Nebenbetroffenen, deren persönliches Erscheinen angeordnet worden war, besteht daher die Möglichkeit, den Einspruch der Nebenbetroffenen zu verwerfen.
Tenor
Der Einspruch der Nebenbetroffenen vom 15. Januar 2016 gegen den Bußgeldbescheid des Bundeskartellamtes vom 23. Dezember 2015 (Az.: B 10 - 47111 - Kh - 50/14) wird verworfen.
Die Nebenbetroffene trägt auch die Kosten des gerichtlichen Verfahrens einschließlich der Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens sowie ihre notwendigen Auslagen.
Angewendete Vorschrift: § 74 Abs. 2 OWiG
Gründe
I. Der Einspruch der Nebenbetroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Bundeskartellamts vom 23. Dezember 2015, durch den gegen sie eine Geldbuße in Höhe von 5,25 Mio. EUR verhängt wurde, ist gemäß § 74 Abs. 2 OWiG zu verwerfen, weil die gesetzlichen Vertreter der Nebenbetroffenen, die Geschäftsführer A. S. und B. S., deren persönliches Erscheinen zur Hauptverhandlung angeordnet worden war, im Termin am 17. August 2020 ohne Entschuldigung nicht erschienen sind.
1. Unwirksamkeit der Einspruchsrücknahme
Die Nebenbetroffene hat den Einspruch nicht wirksam mit Schriftsatz vom 31. Juli 2020 zurückgenommen, so dass der Senat weiter durch Urteil über den Einspruch zu entscheiden hatte. Die Einspruchsrücknahme ist eine Prozesshandlung, die die Bestandskraft des Bußgeldbescheids herbeiführt. Mit einer wirksamen Einspruchsrücknahme entfiele die Befugnis des Senats, den Einspruch in der Sache zu prüfen.
Die Wirksamkeit der Rücknahme des Einspruchs richtet sich nach den §§ 71 OWiG, 411 Abs. 3 Satz 2, 303 StPO. Danach konnte die Rücknahme des Einspruchs der Nebenbetroffenen in der hier gegebenen verfahrensrechtlichen Situation nur mit der Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf erfolgen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihre Zustimmung nicht erteilt.
Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 9. Juli 2019 (KRB 37/19, BeckRS 2019, 17415) das Urteil des 4. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28. Februar 2018 (V-4 Kart 3/17 OWi), durch das gegen die Nebenbetroffene eine Geldbuße in Höhe von 30 Mio. EUR festgesetzt worden war, mit den Feststellungen aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an den erkennenden Senat zurückverwiesen. Zur Begründung hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass der 4. Kartellsenat nicht die Urteilsabsetzungsfrist gemäß § 275 StPO eingehalten habe.
Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 18. Februar 2020 beantragt hatte, aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden, hatte die Entscheidung des Senats über den Einspruch aufgrund mündlicher Verhandlung im Sinne von § 303 Satz 1 StPO stattzufinden (vgl. § 72 OWiG). In diesem Fall bedarf die Rücknahme des Einspruchs der Zustimmung des Gegners, also der Generalstaatsanwaltschaft, "nach Beginn der Hauptverhandlung".
Das ist hier der Fall. Dabei ist nicht auf den Beginn des ersten Hauptverhandlungstages des erkennenden Senats, sondern auf den Beginn der ersten Hauptverhandlung vor dem 4. Kartellsenat als der ersten Hauptverhandlung überhaupt in diesem Verfahren abzustellen. Mit der Aufhebung des Urteils des 4. Kartellsenats lebt das Recht zur zustimmungsfreien Einspruchsrücknahme nicht wieder auf. Dieses Ergebnis entspricht nicht nur dem Wortlaut des § 303 StPO, sondern auch der inzwischen nahezu einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Literatur zum Neubeginn einer Hauptverhandlung nach Aussetzung sowie nach Aufhebung und Zurückverweisung eines Rechtsmittels. Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.
Der Bundesgerichtshof hat für den Fall der Aussetzung und Fortsetzung der Hauptverhandlung eines Berufungsgerichts entschieden, dass eine Rücknahme des Rechtsmittels der Berufung nur mit Zustimmung des Gegners möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 1970, 5 StR 602/69, NJW 1970, 1512). Dieser auch heute noch vertretenen Wertung (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 1. Februar 2018, 1 OLG 181 SsBs 87/16, BeckRS 2018, 47239) hat sich die Rechtsprechung für den Fall angeschlossen, dass ein Berufungsurteil unter Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht aufgehoben worden ist. Auch in diesem Fall kann die Berufung nicht mehr ohne Zustimmung des Gegners zurück...