Leitsatz (amtlich)
Ist der Schadensersatzanspruch eines Käufers gegen den Hersteller seines Fahrzeugs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verjährt, ist der Anwendungsbereich des § 852 BGB auch dann nicht eröffnet, wenn der Kläger das Fahrzeug von einem Vertragshändler als Neufahrzeug erworben hat.
Es fehlt für eine Anwendung des § 852 BGB das notwendige Ungleichgewicht in den Vermögenslagen von Schädiger und Geschädigtem, da jedenfalls eine Kompensation durch die vertraglich geschuldete und tatsächlich auch gewährte Gegenleistung erfolgt ist, die der Geschädigte durchgehend vollständig zu nutzen im Stande ist/war. Diese Konstellation ist vergleichbar mit der Frage, ob der Schädiger Deliktszinsen zu zahlen hat, wenn für den entzogenen Geldbetrag ein Ausgleich in Form einer tatsächlich voll nutzbaren Sache gewährt wurde, was der Bundesgerichtshof in den Fällen des Abgasskandals abgelehnt hat (vgl. BGH Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 354/19). Insofern sei der Verlust der Nutzungsmöglichkeit des Geldes durch die tatsächliche Nutzbarkeit des übergebenen Fahrzeugs kompensiert.
Selbst wenn der Anwendungsbereich des § 852 BGB anders begriffen wird (so OLG Stuttgart, Urteil vom 09.03.2021, 10 U 339/29), wäre hier ein Ausgleichsanspruch nicht gegeben, weil dieser nur dem Erstkäufer zustehen würde.
Der Vertragshändler ist als Erstkäufer anzusehen, denn bereits durch die Veräußerung an ihn wird der Hersteller ggf. "bereichert", während bei dem Händler erstmals ein Vermögensverlust eingetreten ist, weil dieser ein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung erworben hat und Gewährleistungsansprüchen seines Käufers ausgesetzt sein konnte.
Verfahrensgang
LG Mönchengladbach (Aktenzeichen 11 O 94/19) |
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung in Zusammenhang mit dem Abschluss eines Kaufvertrages über ein Fahrzeug mit dem Motortyp EA 189.
Der nach Klageerhebung bzw. Einlegung der Berufung verstorbene Ehemann der Klägerin erwarb am 17.11.2012 bei dem Autohaus J... F... GmbH & Co KG einen neuen Audi Q3 SUV 2.0l zum Preis von 34.010,01 EUR. In dem Fahrzeug ist ein jedenfalls von der Volkswagen AG entwickelter EA 189 - Dieselmotor verbaut, wobei die Parteien darum streiten, ob die Beklagte an der Entwicklung beteiligt war. Die Beklagte hat das streitgegenständliche Fahrzeug inklusive des Motors hergestellt. Für diesen Fahrzeugtyp wurde eine EG-Typgenehmigung mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Das Fahrzeug verfügte zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses über eine die Abgasreinigung manipulierende Prüfstanderkennungssoftware (nachstehend nur "Manipulationssoftware"). Ein Softwareupdate o. ä. war zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgespielt. Das Fahrzeug ist Gegenstand einer Rückrufaktion des KBA.
Zum weiteren Vorbringen der Parteien im ersten Rechtszug sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ergänzend auf die tatsächlichen Feststellungen im Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht Mönchengladbach hat durch die 11. Zivilkammer - Einzelrichterin - mit dem am 12.02.2020 verkündeten Urteil die Klage abgewiesen. Zwar bestehe ein Anspruch des Ehemannes der Klägerin gegen die Beklagte aus vorsätzlich, sittenwidriger Schädigung, jedoch sei dieser nicht mehr durchsetzbar, da dieser mit Ablauf des Jahres 2018 verjährt sei. Die Beklagte habe den Abgasskandal gegenüber der Öffentlichkeit unstreitig bereits im Jahre 2015 bekannt gemacht. Der Ehemann der Klägerin habe außerdem im Rahmen seiner persönlichen Anhörung erklärt, dass er von der Betroffenheit seines Fahrzeugs aufgrund der Medienberichterstattung bereits im Jahre 2015 gewusst habe. Die Verjährung sei auch nicht durch den Anschluss an die nicht gegen die hiesige Beklagte gerichtete Musterfeststellungsklage gehemmt worden.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung und verfolgt (als Rechtsnachfolgerin) das erstinstanzliche Begehren ihres Ehemannes unter teilweiser Klagerücknahme weiter. Zur Begründung führt sie an, dass die Verjährungsfrist nicht bereits mit Ablauf des Jahres 2015 zu laufen begonnen habe. Die Verjährung beginne erst zu laufen, wenn der Anspruchsteller Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen habe. Dies sei erst dann der Fall, wenn ihr Ehemann aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person eine Klage habe erheben können, sei es auch nur eine Feststellungsklage, die bei verständiger Würdigung so viel Erfolgsaussicht geboten habe, ...