Leitsatz (amtlich)
1. Ein Steuerberater ist von seiner Verpflichtung zur vollständigen und umfassenden Belehrung seines Auftraggebers über die steuerlichen Folgen eines Rechtsgeschäfts auch dann nicht befreit, wenn die Steuerpflicht (wie bei der Kirchensteuer) an eine vom Mandanten in eigener Verantwortung zu treffende Gewissensentscheidung anknüpft.
2. Bei einem Schadensersatzanspruch aus Vertragsverletzung gehört der Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Eintritt eines daraus erwachsenen allgemeinen Vermögensschadens nicht mehr zur haftungsbegründenden, sondern zur haftungsausfüllenden Kausalität. Für seinen Nachweis gelten daher nicht die strengen Beweisanforderungen des § 286 ZPO, sondern die in § 287 ZPO vorgesehenen Beweiserleichterungen.
3. Die Vermutung beratungsrichtigen Verhalten gilt generell und unabhängig davon, ob für die Entscheidungsfindung des Auftraggebers neben wirtschaftlichen Erwägungen auch religiöse, ideelle oder sonstige Motive eine Rolle spielen können. Ein entsprechender Anscheinsbeweis greift bereits dann ein, wenn unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur eine einzige verständige Entschlussmöglichkeit besteht. Macht der Berater geltend, der Mandant hätte aus ideellen oder religiösen Gründen auch bei ordnungsgemäßer Beratung die ihm entstandenen Steuernachteile hingenommen, so trägt er hierfür die Darlegungs- und Beweislast.
4. In den zur Schadensberechnung erforderlichen Gesamtvermögensvergleichs sind nur die dem Geschädigten selbst entstehenden Vor- und Nachteile einzustellen; Belastungen Dritter bleiben außer Betracht. Dies gilt auch im Fall einer Ein-Mann-GmbH.
Normenkette
BGB §§ 249, 276, 675
Verfahrensgang
LG Kleve (Aktenzeichen 3 O 287/01) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 22.1.2002 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Kleve abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.316,28 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 5.1.2000 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger hat in seiner Eigenschaft als Alleingesellschafter einer GmbH auf Empfehlung des beklagten Steuerberaters steuerlich wirksame Gewinnausschüttungen vorgenommen. Auf die hierdurch ausgelösten Kirchensteuerbelastungen hatte der Beklagte bei den vorangegangenen Beratungsgesprächen nicht hingewiesen. Der Kläger verlangt nunmehr mit der Begründung Schadensersatz, er hätte sich im Falle vollständiger Belehrung über die anfallende Kirchensteuer für einen Kirchenaustritt entschieden. Das LG hat die Klage abgewiesen, weil die Ursächlichkeit einer etwaigen Pflichtverletzung des Beklagten für den geltend gemachten Schaden nicht feststellbar sei; hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.
Entscheidungsgründe
Das zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die berechtigten Verfahrensrügen der Berufungsbegründung hindern den Senat nicht an einer Sachentscheidung (§ 540 ZPO a.F.); danach erweist sich die Klage als begründet. Der Beklagte ist dem Kläger aus positiver Vertragsverletzung zum Ersatz des geltend gemachten Schadens verpflichtet.
I. Der Beklagte ist den ihm obliegenden Beratungspflichten schuldhaft nicht nachgekommen, weil er den Kläger nicht über die kirchensteuerlichen Auswirkungen der auf seinen Rat im Oktober 1995 beschlossenen Gewinnausschüttung belehrt hat.
1. Die Belehrungspflicht des Beklagten erstreckte sich auch auf die kirchensteuerlichen Belastungen der vorgesehenen Maßnahmen.
a) Im Rahmen seines Auftrags hat der steuerliche Berater seinen Mandanten umfassend zu beraten und ungefragt über alle bedeutsamen steuerlichen Einzelheiten einschließlich insoweit bestehender zivilrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten und deren Folgen zu unterrichten; dabei hat er von der Belehrungsbedürftigkeit seines Mandanten auszugehen. Darüber hinaus muss der Steuerberater seinen Auftraggeber möglichst vor Schaden bewahren; er muss ihm deswegen den sichersten Weg zu dem erstrebten steuerlichen Ziel aufzeigen und sachgerechte Vorschläge zu dessen Verwirklichung unterbreiten. Hierbei hat er den Mandanten in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich seine Rechte und Interessen wahren und eine Fehlentscheidung zu vermeiden (BGH v. 26.1.1995 – IX ZR 10/94, BGHZ 128, 358 [361] = MDR 1995, 416 = NJW 1995, 958; BGH v. 11.5.1995 – IV ZR 140/94, BGHZ 129, 386 [396] = MDR 1995, 1070 = NJW 1995, 2108 [2110]; BGH v. 18.12.1997 – IX ZR 180/96, NJW 1998, 1488 [1489, 1491]; BGH v. 19.7.2001 – IX ZR 246/00, MDR 2001, 1444 = BGHReport 2001,871 = NJW 2001, 3477 [3478]; OLG Düsseldorf v. 19.10.2001 – 23 U 31/01, GI 2002, 205 [206] = OLGReport Düsseldorf 2002, 216 [217]; Zugehör, WM-Sonderbeilage 4/2000, 8).
b) Diesen Verpflichtungen ist der Beklagte nicht nachgekommen. Nach eigener Darstellung war bei den Beratungsgesprächen mit dem Kläger von der die Kirchensteuer einschließenden Gesamtsteuerbelastung keine Rede; er will den Kläger lediglich darüber belehrt haben, dass sich bei der vorgesehenen ...