Leitsatz (amtlich)

1. Es ist ein grober Behandlungfehler, wenn auf völlig unzureichende Kardiotokogramme 2 Stunden lang nicht reagiert wird.

2. Bei Hinweisen auf eine Notsituation des Kindes ist zwingend eine unverzügliche Mikroblutanalyse erforderlich.

3. Im Falle einer Eilsektio dürfen nicht mehr als 20 Minuten zwischen der Indikationsstellung und der Entwicklung des Kindes liegen.

4. Bei einer Risikogeburt ist die Benachrichtigung des Pädiaters schon mit der Entscheidung zur Sectio erforderlich.

5. Als Schmerzensgeld kann bei einer geburtsbedingten spastischen Hemiparese ein Schmerzensgeld-Kapital von 62.500 Euro und eine Schmerzensgeldrente von monatlich 250 Euro ab der Geburt angemessen sein.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 278, 611, 823 Abs. 1, § 847

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Aktenzeichen 3 O 214/98)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 30.11.2000 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Düsseldorf unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 90.000 Euro (als Schmerzensgeld) nebst 4 % Zinsen, und zwar die Beklagte zu 1) seit dem 4.7.1998 und der Beklagte zu 2) seit dem 3.7.1998, zu zahlen.

Die Beklagten werden darüber hinaus als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger eine Schmerzensgeldrente i.H.v. monatlich 250 Euro, beginnend mit dem 1.4.2002, zu zahlen.

Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreites – beider Instanzen – werden den Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten dürfen die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung i.H.v. 113.000 Euro abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

 

Tatbestand

Die 1958 geborene Mutter des Klägers war im Jahre 1993 zum viertel Mal schwanger (letzte Entbindung am 27.1.1990 durch Spontangeburt). Ambulante Untersuchungen in der Universitäts-Frauenklinik D. am 7. und am 22.1.1993 ergaben keine Auffälligkeiten. Man ging von einem großen Kind mit einem Schätzgewicht von 4.100 Gramm aus. Am 26.1.1993 wurde eine Schädellage diagnostiziert, weshalb man von dem Vorhaben einer Sectio wegen einer zunächst festgestellten Beckenendlage Abstand nahm.

Der Geburtstermin war auf den 29.1.1993 errechnet. Am 4.2.1993 stellte sich die adipöse (124,5 kg schwere) Patientin um 20.40 Uhr erneut in der Klinik der Beklagten zu 1) vor, weil seit 18.00 Uhr Wehen aufgetreten waren. Sie wurde stationär aufgenommen, und es wurde ab 20.41 Uhr ein CTG geschrieben. Die Aufzeichnungen waren zunächst unauffällig. Es zeigte sich eine basale vitale Herzfrequenz von 150–160/min., eine schwache Wehentätigkeit sowie wehenunabhängige sporadische Akzelerationen und einzelne Dezelerationen von Typ DIP „Null”. Um 1.15 Uhr ergab die von dem Oberarzt Dr. G. vorgenommene vaginale Untersuchung eine Muttermundweite von 3 bis 4 cm; der Kopf des Kindes war abschiebbar, die Fruchtblase stand. Auf Wunsch der Mutter wurde um 1.45 Uhr eine Periduralanästhesie gelegt. In der Zeit von etwa 1.20 bis 3.19 Uhr kam es zu einer erheblichen Verschlechterung der Aufzeichnungsqualität des CTG. Es zeigten sich schwere variable Dezelerationen mit einem Abfall der fetalen Herzfrequenz bis 60/min. und einer Dauer von etwa 60 Sek., wobei allerdings eine Wehentätigkeit nicht aufgezeichnet werden konnte. Wegen der schlechten Aufzeichnungsqualität erfolgte um 3.15 Uhr eine Ableitung des CTG mittels einer Skalpelektrode. Daraufhin zeigte sich bis 3.25 Uhr eine schwere variable Dezeleration mit einem Frequenzabfall von etwa 50/Min. und einer Dauer von 60 Sek. ohne Wehentätigkeit. Zur Förderung einer spontanen Geburt wurde nunmehr eine medikamentöse Wehenanregung vorgenommen. Wegen sich fortsetzender schwerer variabler Dezelerationen von über 60 Sekunden Dauer und einem Abfall der fetalen Herzfrequenz auf 50/Min. veranlasste der Beklagte zu 2) um 4.25 Uhr eine fetale Mikroblutuntersuchung, die einen pH-Wert von 7,154 ergab. Daraufhin ordnete der Beklagte zu 2) nach Rücksprache mit dem Oberarzt die Entbindung durch Sectio aus gravierender kindlicher Indikation bei Geburtsstillstand und der späten Eröffnungsperiode an. Zur Wehenhemmung erfolgte ab 4.40 Uhr eine intravenöse Tokolyse. Zur Vorbereitung der Sectio wurde die bereits gelegte Peridualanästhesie verstärkt und die Patientin in den Operationssaal umgelagert. Das CTG zeigte in dem Zeitraum von 5.10 Uhr bis 5.31 Uhr eine basale Herzfrequenz des Kindes von 150 bis 160/Min. sowie eine schwere variable Dezeleration. Der Kläger wurde um 5.37 Uhr geboren. Ausweislich des Sectio-Berichtes waren bei der Operation u.a. multiple Verwachsungen zu lösen. Der Kläger wird dort als deprimierter Neugeborener aus Schädellage mit einer Nabelschnurumschlingung um Hals und Rumpf beschrieben. Er wies ein Vital-Distress-Syndrom mit schweren respiratorischen Anpassungsstörungen auf.

Der pH-Wert der Nabelschnurarterie wurde mit 6,93 ermittelt; der Kläger wurde gepuffert, intubiert und mit Sa...

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