Leitsatz (amtlich)
Gegenüber dem unfallursächlichen Aufmerksamkeits- und Reaktionsverschulden des Pkw-fahrers wiegt auch ein stark eigengefährdendes Verhalten des durch den Unfall schwer verletzten Helfers, der ein wegen eines anderen Unfalls aufgestelltes, dann aber umgestürztes Warndreieck wieder aufstellt und hierzu die Fahrbahn betritt, deutlich weniger schwer (1/3).
Normenkette
BGB § 254 Abs. 1; StVG §§ 7, 18; StVO § 1 Abs. 2, §§ 15, 25 Abs. 1, 3, § 34 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Mönchengladbach (Aktenzeichen 1 O 295/17) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Grund- und Teilurteil der 1. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Mönchengladbach vom 02. März 2020 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage ist hinsichtlich der geltend gemachten Zahlungsansprüche dem Grunde nach zu 2/3 gerechtfertigt, hinsichtlich des Schmerzensgeldanspruchs unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 1/3.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten über das von ihnen erklärte Anerkenntnis einer Haftungsquote von 50 % als Gesamtschuldner hinaus verpflichtet sind, dem Kläger auch zukünftig alle entstehenden materiellen Schäden, resultierend aus dem Unfallereignis vom 22.12.2015, mit einer Haftungsquote von insgesamt 2/3 und entsprechende immaterielle Schadensersatzansprüche insgesamt unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 1/3 zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Beide Parteien können die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten des Berufungsverfahrens durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Gründe
I. Der am 10.10.1994 geborene Kläger verlangt von den Beklagten Schmerzensgeld und materiellen Schadenersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 22.12.2015 gegen 18.00 Uhr auf der F.straße in Viersen, bei dem der Kläger als Fußgänger durch den vom Beklagten zu 1. gefahrenen und bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten Pkw schwer verletzt wurde.
Nach einem Auffahrunfall, bei dem sich der Kläger auf der mittleren von drei Fahrspuren - zwei Fahrspuren für den Geradeausverkehr und einer für den Linksabbiegeverkehr - in Höhe der rechts einmündenden B.straße als Beifahrer im Fahrzeug seiner Mutter befunden hatte, sicherte der Zeuge U. die Unfallstelle durch Aufstellen eines Warndreiecks in einer Entfernung von ca. 15 m hinter dem letzten Fahrzeug ab.
Nachdem das Warndreieck kurz darauf umgestürzt auf der Fahrbahn lag, bot der dunkel gekleidete Kläger an, das Warndreieck wieder aufzustellen. Hierzu ging er im Bereich des breit ausgebauten Mittelstreifens der Gesamtfahrbahn - dieser setzte sich im weiteren Verlauf in einem ca. 1,5 m breiten Böschungsbereich zur Trennung der Fahrbahnen fort - zu dem Warndreieck zurück, um dann rechtwinklig über den Fahrstreifen für Linksabbieger auf die linke der beiden Geradeausspuren zum umgestürzten Warndreieck zu treten. Hier kam es zur Kollision zwischen ihm und dem Fahrzeug des Beklagten zu 1., der den Kläger erfasste und schwer verletzte. Die Einzelheiten des Unfallhergangs sind streitig.
Der Kläger erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma mit langer Bewusstlosigkeit aufgrund einer bifrontalen Blutung mit nachfolgendem bifrontalen Hygrom und kleinem Substanzdefekt im rechten Frontallappen mit persistierenden kognitiven Störungen, d.h. Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen, Störungen der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses, der Befindlichkeit und des Verhaltens, einer psychomotorischen Verlangsamung und einer mittelschweren organischen Wesensänderung, dazu eine BWK-5-Fraktur mit posttraumatischer Kyphose der Brustwirbelsäule sowie eine Vorderkreuzband- und Außenbandruptur des rechten Kniegelenks. Der Kläger lebt nunmehr - obwohl er ein junger Mann ist - ein zurückgezogenes Leben unter der Betreuung seiner Mutter. Die Beklagten haben vorprozessual ihre Einstandspflicht mit den Wirkungen eines Feststellungsurteils zu 50 % anerkannt und insgesamt Schadensersatz i.H.v. 20.000,00 EUR gezahlt.
Der Kläger verlangt mit der Klage Ersatz seiner materiellen Schäden (Kleidung und Uhr i.H.v. 2.085,00 EUR, Ersatz eines Haushaltsführungsschaden unter Anrechnung einer Zahlung i.H.v. 5.000,00 EUR i.H.v. noch 17.700,00 EUR bis Ende Februar 2018, Ersatz des Verdienstausfalls i.H.v. 10.133,60 EUR gleichfalls unter Anrechnung von gezahlten 5.000,00 EUR) i.H.v. 29.918,60 EUR, dazu ein angemessenes Schmerzensgeld gleichfalls für den Zeitraum bis Ende Februar 2018 unter Berücksichtigung einer Zahlung der Beklagten in Höhe von 10.000,00 EUR sowie die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten für zukünftige materielle und immaterielle Schäden zu 100%. Er hat beha...